09.10.2025
Das Fußballmuseum in ­Dortmund ehrt Günter Netzer

Lange Haare in der Tiefe des Raums

Im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund ist noch bis Februar kommenden Jahres eine Multimedia-Show über Günter Netzer zu sehen.

Ein spärlich beleuchteter, 1.000 Quadratmeter großer Raum, Leinwände an allen Seiten und die Stimmen der Fußballlegenden der siebziger Jahre: Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath, Rainer Bonhof und Paul Breitner, der über Günter Netzer sagt: »Netzer hat dafür gesorgt, dass der Fußball und die Spieler in der Gesellschaft die Stellung einnahmen, die sie bis heute haben.«

Günter Netzers Spielerkarriere begann 1963 in Mönchengladbach bei der Borussia und endete nach einer dreijährigen Zwischenstation in Madrid 1977 beim Grasshopper Club Zürich. Unter den vielen Ausnahmefußballern seiner Zeit – unter anderem Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Paul Breitner und Berti Vogts – galt er als Rebell, als Intellektueller, als Inspiration. Im Rückblick erscheint es so, als ob die damalige Journalistengeneration kaum über Netzer schreiben konnte, ohne ihn völlig zu überhöhen.

In der Ausstellung »Netzer – Die Siebzigerjahre«, die derzeit im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund zu sehen ist, kommt auch er selbst zu Wort. Er hat sich eigentlich nach jahrelanger Dauerpräsenz in den Medien – erst als Spieler, dann als Manager und später als TV-Kommentator – aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Doch für Manuel Neukirchner, den Direktor des Deutschen Fußballmuseums, hat er eine Ausnahme gemacht. In den Gesprächen geht es in erster Linie um Fußball, in zweiter ums Geschäft und in dritter um den Kult, der um Netzer getrieben wurde. Auf eine halbe Stunde konzentriert stehen Netzers Worte im Zentrum einer Multimediashow, die seine Erzählungen ebenbürtig begleitet, ohne sich trotz aller gut eingesetzten Effekte in den Vordergrund zu drängen.

Netzer sagt, er habe den Anschlag auf den damaligen spanischen Regierungschef Carrero Blanco ebenso mitbekommen wie die grausamen Hinrichtungen der Regimegegner: »Ungeachtet dessen ging der Fußball weiter. So war das damals.«

Zwischen den Abschnitten des Gespräches mit Netzer werden Stationen aus seinem Fußballerleben gezeigt: das legendäre 7:1 von Borussia Mönchengladbach gegen Inter Mailand (Netzer: »Die wussten nicht mal, wo Mönchengladbach liegt«) – die Partie gilt bis heute als bestes Spiel der Vereinsgeschichte. Netzer schoss damals zwei Tore, aber im Endeffekt war es umsonst: Wegen einer von einem Fan geworfenen Cola-Dose, die den Inter-Spieler Roberto Boninsegna traf, der dann ausgewechselt werden musste, wurde das Spiel für ungültig erklärt.

Oder die zwei Deutschen Meisterschaften, die Borussia auch dank Netzer 1970 und 1971 gewann. Sein Spiel in dieser Zeit inspirierte Sätze wie »Der aus der Tiefe des Raumes plötzlich vorstoßende Netzer hatte thrill’« – so der damalige England-Korrespondent und spätere Feuilleton-Leiter der FAZ, Karl Heinz Bohrer.

Netzer selbst kann damit nicht viel anfangen: »Ich habe mir da keine Gedanken gemacht. Ich wollte einfach nur von hinten nach vorne laufen – da standen ein paar im Wege, die ich überwinden musste – und dann wurde es eine Situation, die außergewöhnlich war. Sie ist aber einfach aus der Situation und meinen Fähigkeiten entstanden. Einem Fußballreporter wäre diese Aktion nicht so aufgefallen, das wäre nicht so bebildert oder beschrieben worden, wie Karl Heinz Bohrer das gemacht hat.«

Der Wechsel zu Real Madrid wohl das düsterste Kapitel in Netzers Karriere

Teamplayer sei er gewesen, dem die Mannschaft und der Verein wichtig waren. Die Borussia bedeutete ihm mehr als die Nationalmannschaft, mit der er 1972 Europameister und 1974 – wenn auch nur mit einem 22-Minuten-Einsatz gegen die DDR – Weltmeister wurde. »Der Stellenwert der Nationalmannschaft«, schreibt Manuel Neukirchner im Begleitband zur Ausstellung, »war bei ihm eher untergeordnet, wohl wissend, dass die Erfolge im National­dress den Marktwert eines jeden Topspielers bestimmen.«

Die Ausstellung thematisiert aber auch das wohl düsterste Kapitel in Netzers Karriere: den Wechsel zu Real Madrid. Für Netzer war das die Erfüllung seiner fußballerischen Träume. Real Madrid war sein Lieblingsverein. Nur herrschte in Spanien 1973 noch der faschistische Diktator Francisco Franco. Jedes Spiel gegen den FC Barcelona, heißt es in der Show, sei wie die Fortsetzung des Spanischen Bürgerkriegs gewesen, als die Metropole Kataloniens eine Hochburg der Anarchisten war.

Netzer ist bei dem Thema ungewohnt schmallippig: Er habe den Anschlag auf den damaligen spanischen Regierungschef Carrero Blanco ebenso mitbekommen wie die grausamen Hinrichtungen der Regimegegner: »Ungeachtet dessen ging der Fußball weiter. So war das damals.« Netzer lotste sogar noch seinen Freund Paul Breitner zu Real.

Diskothek »Lovers’ Lane« und Restaurant »La Laque«

Er stieg erst bei Real Madrid mit einem Jahreseinkommen von 295.000 DM in die Gruppe der Spitzenverdiener auf. Bei Mönchengladbach verdiente er deutlich weniger als die Stars von Bayern München, des Erzrivalen der Borussia in den siebziger Jahren. Doch Netzer wusste sich zu helfen. Während Spieler wie Uwe Seeler oder Ernst Kuzorra nach dem Ende ihrer Karriere eine Tankstelle übernahmen oder eine Lottobude eröffneten, investierte Netzer in die Diskothek »Lovers’ Lane« und das Restaurant »La Laque«.

»Ich habe den führenden Barkeeper in Mönchengladbach kennengelernt. Und der kam plötzlich auf die Idee: ›Lass uns doch zusammen eine Diskothek machen. Ganz in Schwarz, in schwarzem Lack und mit Möbeln.‹« Netzer ging dann zu seinem Trainer: »›Herr Weisweiler, ich muss Sie wenigstens informieren. Ich eröffne übermorgen dahinten eine Diskothek, und Sie sind herzlich eingeladen.‹ Dann hat er nur gesagt: ›Das ist das Ende.‹«

»Dass ich so in der Nähe der 68er angesiedelt wurde – was natürlich nicht der Fall war; da entstand das Wort Rebellion, Revolutionär; dabei habe ich mich nur mit meinem Trainer gestritten.« Günter Netzer

Weisweiler habe gedacht, Netzer stehe fortan jede Nacht mit den Gästen an der Theke und saufe flaschenweise, um Umsatz zu machen. »Tatsächlich habe ich meine beste Zeit als Fußballer gehabt. Ich bin zweimal Fußballer des Jahres hintereinander geworden. Das war eine wunderbare Zeit. Ich habe in der Ecke gestanden und habe die Leute studiert. Das ist unfassbar wichtig für mich gewesen.«

In dieser Zeit war Netzer eine Berühmtheit, wurde von Fotografen begleitet, stand für einen extravaganten Lebensstil und fuhr Ferrari. Zahlreiche Fotos aus der Zeit sind in der Ausstellung jenseits der Multimediashow zu sehen. Auch was die Mode betraf, war Netzer damals für viele ein Vorbild – allerdings gegen seinen Willen: »Manches habe ich aber auch nur mitgemacht, was meine Freundin damals wollte. Zum Beispiel in Fragen der Mode. Mode hat mich nicht interessiert. Teilweise habe ich mich geschämt, auf die Straße zu gehen, so wie sie mich eingekleidet hatte. Und das in Mönchengladbach!« Auch seine langen Haare hatte er nur, weil seine Freundin der Ansicht war, dass er mit kurzen Haaren »bescheuert« aussah.

Und auch das Image des Rebellen, der Inspiration für linke Politiker, entsprach nicht Netzers Intention: »Dass ich so in der Nähe der 68er angesiedelt wurde – was natürlich nicht der Fall war; da entstand das Wort Rebellion, Revolutionär; dabei habe ich mich nur mit meinem Trainer gestritten.« Sein persönliches Umfeld habe mit der Protestbewegung nichts zu tun gehabt.