Yookay ist überall
Wer sich mit britischer Politik befasst und Zeit in sozialen Medien verbringt, dem dürfte das Wort »Yookay« mittlerweile bekannt sein. In den Achtzigern verwendete der walisische Marxist Raymond Williams diese Transliteration von UK (United Kingdom) als Bezeichnung für den von ihm und anderen auf keltische Traditionen rekurrierenden Nationalisten kritisierten anglozentrischen britischen Staat.
Dieser Tage lebt der Ausdruck mit einer ganz anderen Konnotation wieder auf. Unter britischen Rechtsextremen ist er zum Meme avanciert und bezeichnet ein im Niedergang begriffenes multikulturelles Großbritannien. Selbst in Publikationen wie der seit jeher eher linken London Review of Books findet sich der Begriff, wenn auch in naserümpfenden Anführungszeichen.
Längst hat sich eine urbane Mischkultur mit migrantischen Einflüssen entwickelt. Dass diese der extremen Rechten nicht gefällt, macht sie aber weder unecht noch unbritisch – sie ist einheimisch.
Die Posts der fanatischen Angelsachsen über die »Yookay aesthetics« (Yookay-Ästhetik) greifen eine Reihe im Internet zirkulierender Bilder auf, die sozialen und kulturellen Verfall darstellen sollen: heruntergekommene, mit Müll übersäte Straßen voller billiger Imbisse, türkischer Barbierläden, Geschäfte für Vape-Zubehör oder Sportwetten; Obdachlose, leerstehende Ladenlokale, U-Bahnwaggons voller Graffiti, Schilder in südasiatischen Sprachen, Frauen, die in Hijab oder Abaya an einem traditionellen englischen Pub in Canterbury entlanggehen; ein Werbespot für die südafrikanische Fast-Food-Kette Nando’s, in dem die Protagonisten Englisch im heutigen Londoner Dialekt sprechen; ein viraler Clip auf Tiktok, in dem eine indisch aussehende Frau in der U-Bahn Curry und Reis mit den Händen isst, während sie laut telefoniert; die auf britischen Straßen allgegenwärtigen ausländisch oder migrantisch wirkenden Deliveroo-Lieferfahrer und Ähnliches mehr. Die Stadt Birmingham, in der sich in den vergangenen Monaten wegen eines Streiks der Müllabfuhr die Abfälle vor den Häusern stapelten, bot zuletzt eine besonders gute Quelle für solche Szenen.
Viele dieser Memes sollen sarkastisch und satirisch wirken, meist sind sie plump rassistisch. Die Urheber und Verbreiter eint eine tiefe Überzeugung: »The Yookay« steht für ein Großbritannien, das sich durch Jahrzehnte der Einwanderung verändert hat, so dass ein neues Land mit eigenem Charakter entstanden sei, das sich vom traditionellen Großbritannien grundsätzlich unterscheide.
George Orwell schrieb in »England Your England«, dass England »kontinuierlich ist, es reicht in die Zukunft und die Vergangenheit, es liegt etwas in ihm, das bleibt, wie in einem lebenden Wesen«. Diese Ethnonationalisten hingegen verstehen das »Yookay« nicht als Ergebnis einer Fortentwicklung oder Evolution, sondern als ein ganz neues Land, das im Begriff ist, das bisherige zu ersetzen. Je größer der Bevölkerungsanteil ethnischer Minderheiten, desto mehr breitet sich in dieser Wahrnehmung »Yookay« aus, von den Großstädten in die kleineren Städte und Dörfer in der einst idyllischen countryside.
Zu einem großen Teil vollzog sich diese jüngste nativistische Radikalisierung während der sogenannten »Boriswave« (Boris-Welle), dem starken Anstieg der Einwanderung nach dem EU-Austritt unter Premierminister Boris Johnson. Der Austritt war mit dem Versprechen angepriesen worden, Großbritannien werde »sich die Kontrolle über seine Grenzen zurückholen«. Stattdessen erreichte die Zahl der Einwanderer in Johnsons Regierungszeit (2019–2022) sowie der seiner konservativen Amtsnachfolger lange nicht dagewesene Höhen, und statt Einwanderern aus der EU kamen vornehmlich solche aus Ländern außerhalb der EU. Dies wurde als »Verrat« der Tories empfunden und führte dazu, dass viele Nativisten mittlerweile Nigel Farages Partei Reform UK wählen.
Ethnonationalistische Untergangsphantasien
Mit den »Yookay«-Memes drücken sie ihr Gefühl von Heimatlosigkeit, ihre Ressentiments und ihre Entfremdung von dem Land aus, in dem sie leben. Sie schauen mit Entsetzen auf demographische Berechnungen, denen zufolge weiße Briten circa 2063 weniger als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen sollen; Städte wie London, Birmingham und Leicester sind bereits jetzt »majority minority«. »The Yookay« ist ein globaler kultureller Mischmasch, der die etablierte britische Kultur verdrängt, ein Land, das einer von bürokratischen Apparaten beherrschten Wirtschaftszone gleicht, voller entwurzelter Menschen ohne authentische Verbindung zu einer nationalen Gemeinschaft.
Solche ethnonationalistischen Untergangsphantasien gewinnen unter britischen Rechten an Einfluss. Nur ein Jahr ist es her, dass landesweite rassistische Ausschreitungen das Land erschütterten, und auch jetzt wird regelmäßig in zahlreichen Städten gegen Hotels demonstriert, in denen Flüchtlinge untergebracht sind.
Tatsächlich hat sich Großbritannien in den vergangenen Jahrzehnten auch aufgrund von Einwanderung – jedoch natürlich bei weitem nicht nur durch sie – kulturell stark verändert. Längst hat sich eine urbane Mischkultur mit migrantischen Einflüssen entwickelt, die für die meisten Jugendlichen bestimmend ist. Dass sie der extremen Rechten nicht gefällt, macht sie aber weder unecht noch unbritisch – sie ist einheimisch. Für diejenigen, die in und mit ihr aufgewachsen sind, mit ihrer Musik und Mode, ihrem Slang, ist sie die einzige Version von Großbritannien, die ihnen vertraut ist.
Diese britisch-urbane Kultur, schreibt der Autor Jide Ehizele, biete gerade Kindern oder Enkeln von Einwanderern, die ein Leben »zwischen ethnischem Traditionalismus zu Hause und den Realitäten des Großstadtlebens« führen, ein Gefühl der Zugehörigkeit. Dennoch nähmen viele sie als fremd wahr, was sich im Begriff »Yookay« ausdrücke: »Diese Kultur fühlt sich zwar wie Großbritannien an, man erlaubt ihr aber nicht, Großbritannien zu sein.«
Auch die Szenarien nationalen Niedergangs, die Rechte an die Wand malen, haben durchaus einen Bezug zu etwas Realem. Großbritannien ist ein bisschen wie Manchester United: Es hat tiefsitzende Probleme und wird geplagt von schmerzhaften Erinnerungen an vergangene Größe. So wie einige United-Fans nicht darüber hinwegkommen, dass die glorreichen Zeiten unter der sportlichen Leitung von Sir Alex Ferguson der Vergangenheit angehören, spüren einige Briten einen Phantomschmerz, weil ihr Land den Status einer Großmacht eingebüßt hat. Das Vereinigte Königreich ist gewiss nicht einflusslos, aber das Bruttoinlandsprodukt nähert sich dem Italiens an und der Krisen sind viele.
Vor allem zu nennen sind die ökonomische und die soziale Krise. Die Wirtschaft wächst seit Jahren kaum, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen, ist für die meisten wegen hoher Preise unmöglich, die Infrastruktur verfällt. Die Gesellschaft ist atomisierter, zivilgesellschaftliche Bindungen werden schwächer, während gleichzeitig ethnisch-identitäre Ideologien und Konflikte erstarken, und zwar nicht nur unter weißen britischen Rechtsextremen, sondern beispielsweise auch zwischen den Nachfahren indisch-hinduistischer und pakistanisch-muslimischer Einwanderer.
Post-Office-Skandal, Brand des Grenfell Tower und »grooming gangs scandal«
Es gibt auch eine politische Dimension der Krise. Die beiden großen Parteien, Labour und Konservative, gelten großen Teilen der Bevölkerung als diskreditiert und gescheitert. Skandale wie der um den Brand des Grenfell Tower in London oder der sogenannte Post-Office-Skandal, bei dem fast Tausend unschuldige Postangestellte für vermeintliche Straftaten verurteilt wurden, sowie der um die sogenannten grooming gangs ließen den britischen Staat nicht nur als inkompetent, sondern als geradezu feindselig gegen die Interessen gewöhnlicher Menschen erscheinen. Große Teile der Arbeiterschaft verarmen und fühlen sich politisch machtlos.
Unter diesen Umständen gedeihen politische Stimmungen, die die Entbehrungen auf staatliche und mediale Missachtung der kulturellen oder ethnischen Gruppen zurückführen, denen man sich zugehörig fühlt. Eine solche Stimmung herrscht gerade auch bei den Nachfahren eingesessener Briten, mit allen gefährlichen Folgen.
»Yookay aesthetics« sind schlicht Erscheinungsformen der Armut. Orte wie Sunderland oder Scunthorpe, wo vornehmlich die white working class lebt, sehen wenig anders aus als die migrantischen Viertel der Großstädte, deren schäbigste Ecken die Bilder für die »Yookay«-Posts hergeben.
Dabei sind »Yookay aesthetics« zu einem sehr großen Teil schlicht Erscheinungsformen der Armut. Orte wie Sunderland oder Scunthorpe, wo vornehmlich die white working class lebt, sehen wenig anders aus als die migrantischen Viertel der Großstädte, deren schäbigste Ecken die Bilder für die »Yookay«-Posts hergeben. Auch über sie könnte man, wenn man eine solche Sprache benutzen will, sagen, dass es in ihnen immer mehr aussehe wie in der »Dritten Welt«.
Der multikulturelle Kommunalismus ist nicht die Ursache für den Zerfall und die Desintegration der Zivilgesellschaft, sondern deren Folge. Die »Rassifizierung« der sozialen Probleme in Großbritannien, wie sie in den »Yookay«-Posts stattfindet, verschleiert nicht nur deren reale Ursachen, sie vertieft auch die Spaltung der working class, die aus alteingesessen ebenso wie aus migrantischen Menschen besteht und die alleine in der Lage wäre, die Ursachen der Krise zu überwinden.