Make America krank again
In der schieren Masse der Erlasse – executive orders –, die US-Präsident Donald Trump nach Amtsantritt wie im Akkord unterzeichnet hat, ist mancher nahezu untergegangen. Wie etwa ein Erlass vom 14. Februar, der öffentlichen Bildungseinrichtungen sämtliche Bundesmittel streicht, falls sie für den Besuch von Präsenzveranstaltungen den Nachweis einer Covid-19-Impfung verlangen. Das ist zwar an so gut wie keiner Schule oder Universität mehr der Fall, seit eine relativ hohe Impfrate in der Bevölkerung zu weniger Ansteckungen und vor allem leichteren Verläufen, aber auch zu weniger aggressiven Varianten des Virus geführt hat – aber das kümmert wenig, es geht Trump und seiner Regierung schließlich ums Prinzip.
Das machte der Präsident nicht nur bei der Vorstellung des Erlasses unverblümt deutlich. Seiner Regierung gehe es darum, alle bislang verpflichtenden Impfungen, wie etwa auch die Masernschutzimpfung, die in den USA zur Einschulung verlangt wird, und jegliche andere Form der behördlich verordneten Infektionsprävention, wie etwa Schutzmasken, abzuschaffen, so Wahlkämpfer Trump im vergangenen August: »Ich werde keiner Schule auch nur einen Penny geben, die irgendeine Impfung oder das Tragen von Masken verlangt.«
Die Gesundheitspolitik ist für Propaganda der Staatsabwicklung prädestiniert: Hier lassen sich autoritäre Syndrome besonders gut aufrufen, wie die des Sozialdarwinismus.
Solchermaßen Tetanus, Diphtherie, Poliomyelitis, Hepatitis B und Masern freie Fahrt zu gewähren – in Texas und New Mexico tobt derzeit ein Masernausbruch, der bereits erste Menschenleben gefordert hat –, war bis vor einigen Jahren auch in den USA allein Sache religiöser Fanatiker gewesen, derer es bekanntlich nicht wenige gibt; aber eben auch nicht so viele, dass die religiös motivierten Ausnahmen von den verpflichtenden Impfungen, die alle Bundesstaaten bislang schon gewähren, die Herdenimmunität ernsthaft gefährdet hätten. Nun aber ist die Mission der Eiferer Maßgabe einer Bundesregierung geworden, deren Anführer daraus während der Wahl auch keinen Hehl gemacht hatte.
Absichtsvoller Verzicht auf medizinischen Schutz als Wahlkampfschlager – das dürfte in der westlichen Welt der vergangenen 100 Jahre eine präzedenzlose Neuerung darstellen. Noch 2016 im Zuge seiner ersten Wahlkampagne hatte selbst Trump noch deutlich vorsichtigere Töne zum Thema Gesundheitsversorgung angeschlagen: Zwar war den Republikanern Medicaid – also das System der Bundes- und Staatszuschüsse zur basalen privaten Krankenversicherung Armer – schon damals zu teuer, die Vorschläge zur Reform der Reform, die US-Präsident Barack Obama gefördert hatte, waren aber noch eher zahm. Sie beschränkten sich auf Kostendeckelung, Regionalisierung, Steuererleichterungen für Selbstversicherer mit niedrigem Einkommen, also das, womit Arme und Kranke und vor allem kranke Arme nicht nur in den USA gepiesackt werden.
»Systematische Erosion der Kapazitäten«
Kein Vergleich also zu der eminent aggressiven Art und Weise, in der Trumps Regierung und die republikanische Kongressmehrheit zu Beginn von dessen zweiter Amtszeit das Gesundheitswesen geradezu lahmzulegen drohen: Der in einer gemeinsamen Sitzung beider Kammern des US-Parlaments Anfang März gutgeheißene republikanische Haushaltsplan sieht Steuersenkungen in Höhe von 4,5 Billionen US-Dollar vor und will die Bundesausgaben um mindestens 1,5 Billionen US-Dollar kürzen. Diese Ausgaben wiederum umfassten im Haushaltsjahr 2023 880 Milliarden US-Dollar für die Finanzierung der Medicaid-Programme, von denen schätzungsweise 70 Millionen US-Amerikaner profitieren.
Zwar drücken sich republikanische Parlamentarier darum, klar auszusprechen, wie der Haushaltsplan finanziert werden soll – doch allen Beteiligten ist klar, zumindest sofern sie die Grundrechenarten beherrschen, dass diese Vorhaben ohne heftige Einschnitte bei der Gesundheitsversorgung nicht zu haben sind. Da Medicaid auch bei ärmeren Trump-Wählern populär ist, erfand der Präsident in einem seiner berüchtigten, vor wenigen Tagen vom Weißen Haus veröffentlichten fact checks eben mal die Summe von mehr als 140 Milliarden US-Dollar, die unter Medicaid zugunsten nicht Berechtigter ausgegeben worden wären – und souffliert damit die unter Trump-Wählern Demoskopen zufolge verbreite Fehlannahme, dass Inhaber von US-Pässen nicht von den Kürzungen betroffen sein werden.
Während hier bereits soziale Widersprüche der Maga-Bewegung zutage treten, allein schon, weil auch republikanische Parteigänger zahnärztlicher Behandlung bedürfen, arbeitet die Regierung Trumps noch relativ ungestört daran, Infektionskrankheiten den Weg zu ebnen. Nur wenige nehmen bisher öffentlich Anstoß daran, dass bei der Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) nach US-Medienberichten mehr als ein Zehntel der Stellen abgebaut werden sollen. Die US-Epidemiologin Jennifer Nuzzo spricht hier von »systematischer Erosion der Kapazitäten«; es sei so, als ob man nach einem großen Feuer alle Feuerwachen abbaue, sprich nach dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie.
Massenverblendung und Masseninfektion
Man kennt solcherlei Bestrebungen hierzulande unter dem widerwärtigen Begriff »Corona-Aufarbeitung«; ihr mehr oder minder erklärtes Ziel ist es nicht, die Wiederholung einer Pandemie möglichst zu verhindern, sondern zu verhindern, dass die nächste Pandemie die »Freiheit« einschränkt, gemeint ist die Freiheit des Warenverkehrs inklusive der menschlichen Arbeitskraft – koste es an Menschenleben, was es wolle. Der international bekannte Impfschwurbler Robert F. Kennedy Jr., seines Zeichens US-Gesundheitsminister, der kürzlich zum Besten gab, dass Masern mit Lebertran geheilt werden könnten, geht da natürlich voran.
Einer seiner ersten Vorstöße ist, den Verkauf von Rohmilch – der anders als in den USA in Deutschland grundsätzlich verboten ist – auch über Staatsgrenzen hinweg ermöglichen zu wollen. Nun ist Rohmilchverzehr bakteriologisch und virologisch gesehen ohnehin hochriskant, doch die USA verzeichnen zudem derzeit einen heftigen Ausbruch der Vogelgrippe, der nicht nur zur Schlachtung von bislang knapp 160 Millionen Geflügeltieren und 70 gemeldeten Infektionen beim Menschen geführt hat, sondern auch zum Übergreifen einer Mutation des Erregers auf 950 Rinderherden in 17 Bundesstaaten. Rohmilchhandel gleiche deshalb »einem Rezept zur Masseninfektion«, pointierte die kanadische Virologin Angela Rasmussen.
Die jetzige groteske Situation, dass ausgerechnet das Gesundheitsministerium eine Masseninfektion regelrecht herbeiführen möchte, geht auf die vorhergehende Massenverblendung zurück, jenen paranoiden Schub, der mit der Ausbreitung von Covid-19 in den Jahren 2019 ff. einherging; ein Schub, der weite Teile der Gesellschaft erfasste und in dem Mob und Milliardäre in radikaler Ablehnung sämtlicher staatlicher Institutionen inklusive jener, die sich medizinischer Forschung widmen, zusammenfanden.
Bündnis der Dümmsten mit den Skrupellosesten
Ein durch die zurückliegenden Wahlen in den USA tatsächlich legitimierter Angriff auf die vitalsten Interessen des Gros der Wähler wäre wohl kaum möglich gewesen ohne das gesellschaftliche Bündnis, das die Dümmsten mit den Skrupellosesten in der Coronaleugner- und Antiimpfbewegung geschlossen hatten.
Die Ursachen, die insbesondere in den USA dazu führten, dass vielfach ausgerechnet jene, die auf staatliche Gesundheits- und Sozialpolitik angewiesen wären, vehement ihrer Abschaffung zuarbeiteten, lassen sich kaum in zwei Sätzen zusammenfassen. Nicht von der Hand zu weisen scheint jedoch, dass es sich um eine Art selbstschädigende Trotzreaktion derer gehandelt hat, die sich gesellschaftlich – nicht ganz zu Unrecht – vergessen wähnten und deshalb ihrer Verbitterung freien Lauf ließen: Der Überdruss an dem, was als moralische Gängelung aus dem politisch-kulturellen Establishment empfunden wurde, ließ diese Wähler die Warnung vor Covid-19 in denselben Topf werfen, in den sie auch die Diskursmoden der vergangenen Jahrzehnte geworfen hat: Gesundheitspolitische Maßnahmen erschienen schlicht als weitere Bevormundung, als Machination der moralisierenden Mächtigen.
Staatliche Institutionen erscheinen in der Propaganda als parasitäre Erziehungsdiktatur, ihre Rolle bei der Daseinsvorsorge fällt unter den Tisch, Impfverweigerung etwa erhält den Nimbus der individualanarchistischen Geste.
So fiel die Propaganda der libertarians, die die hart arbeitenden Männer bauchpinselte, die ohne den Rat von Eierköpfen selbst am besten wüssten, was gut für sie sei, auf besonders fruchtbaren Boden. Der Staat macht euch nichts als hinderliche Vorschriften, fiskalische, ökologische und jetzt auch noch gesundheitliche – so geht die Leier.
So erscheinen staatliche Institutionen als parasitäre Erziehungsdiktatur, ihre Rolle bei der Daseinsvorsorge fällt unter den Tisch, Impfverweigerung etwa erhält den Nimbus der individualanarchistischen Geste. Ganz bewusst wurden und werden durchaus kritikable Auswüchse wie die NGOisierung der Institutionen, die sie wie Projektselbstbedienungsläden des akademischen Mittelschichtnachwuchses wirken ließen, mit den Institutionen und ihren Grundfunktionen gleichgesetzt.
Die Gesundheitspolitik ist für derlei Propaganda der Staatsabwicklung prädestiniert: Hier lassen sich autoritäre Syndrome besonders gut aufrufen, wie die des Sozialdarwinismus, dem zufolge es dem Stärkeren schade, den Schwächeren zu helfen, oder ans »Soldatische« (Theweleit) gemahnende maskulinistische Vorstellungen vom Körper, durch dessen Panzer weder Viren noch Nasenstäbchen dringen dürfen. Bei der Vogelgrippe allerdings könnte die Vorstellung der libertären Euthanasiefreunde, dass es nicht schade sei um die Schwächlinge, die Infektionen wie der mit dem Vogelgrippeerreger nicht trotzen können, die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben – und das im wahrsten Sinne des Wortes: An der aviären Grippepandemie zu Ende des Ersten Weltkriegs starben vor allem Viruswirte im Alter zwischen 20 und 45 Jahren aufgrund der übermäßigen Abwehrreaktion des Körpers.