20.03.2025
Der Bundestag hat das Grund­gesetz geändert, um mehr Schulden zu ermöglichen

Das Drama mit der Schuldenbremse

Der Bundestag hat eine Grundgesetzänderung beschlossen: Es dürfen zukünftig mehr Schulden gemacht werden, vor allem fürs Militär.

Am Ende hat es locker gereicht: 24 Stimmen weniger hätten sich Union, SPD und Grüne sogar noch leisten können, ohne die notwendige Zweidrittelmehrheit zu verfehlen. Mit einer solchen hat der alte Bundestag am Dienstag als letzte Amtshandlung eine Grundgesetzänderung verabschiedet. Die im Grundgesetz verankerte sogenannte Schuldenbremse wird aufgeweicht, wenn auch nur in engen Grenzen. 

Bisher begrenzte sie die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und erlaubte den Bundesländern überhaupt keine Neuverschuldung. Nun wurde beschlossen, dass die Schuldenbremse für Militärausgaben gar nicht mehr gelten soll. Außerdem dürfen zukünftig auch Bundesländer Schulden im Umfang von 0,35 Prozent ihres BIP machen. Zusätzlich wurde ein Sondervermögen im Umfang von 500 Milliarden Euro für die kommenden zwölf Jahre aufgenommen – also zusätzliche Schulden, die nicht unter die Vorgaben der Schuldenbremse fallen. Diese Mittel sollen Investitionen in die Infrastruktur und den Klimaschutz vorbehalten sein. Das ganze Paket muss noch am Freitag im Bundesrat ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigt werden. 

Nicht nur etliche Ökonomen, sondern auch Wirtschaftsverbände forderten seit langem mehr öffentliche Investitionen.

Die Verhandlungen über dieses riesige Schuldenpaket waren sehr schnell über die Bühne gegangen – notgedrungen. Denn der Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte erst nach der Bundestagswahl entschieden, dass er eine solche Aufweichung der Schuldenbremse wollte, und musste sie dann auf die Schnelle in den vergangenen Wochen mit dem alten Bundestag verabschieden. Im neuen Bundestag werden nämlich die Linkspartei und die AfD zusammen eine Sperrminorität haben.

Auch wenn es rechtlich nicht zu beanstanden ist: Nun ist der Präzedenzfall eingetreten, dass eine scheidende Bundestagsmehrheit auch nach der Wahl noch schnell verabschieden kann, was man vorher nicht wollte. Dass Merz sich nach der Wahl anders positionieren würde, darauf war allerdings schon lange spekuliert worden. Nicht nur etliche Ökonomen, sondern auch Wirtschaftsverbände forderten seit langem mehr öffentliche Investitionen.

Im Zweifel für die »staatspolitische Verantwortung«

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) veröffentliche im vergangenen Sommer ein entsprechendes Positionspapier. Demnach seien »zusätzliche Investitionen der Öffentlichen Hand von rund 400 Milliarden Euro über zehn Jahre nötig« – die »Politik muss die Finanzierung jetzt klären«. Zu dem Zweck solle die Schuldenbremse nicht aufgeweicht werden, hieß es vom BDI, aber um Sondervermögen komme man nicht herum.

Kaum vorstellbar, dass ein CDU-Kanzler sich dem verschließen würde. Im Wahlkampf erzählte die Union noch, dass man auch durch Einsparungen – zum Beispiel beim Bürgergeld – genug zusammenbekommen könnte, um Investitionen zu finanzieren. In Wirklichkeit liegen die Bürgergeldsätze jetzt schon knapp über dem Mindestmaß, das vom Bundesverfassungsgericht ­verlangt wird, und Steuern erhöhen möchte die Union natürlich auch nicht. Also kam es, wie es sich der BDI wünschte: Statt 400 Milliarden Euro über zehn Jahre enthält das nun beschlossene Sondervermögen 500 Milliarden Euro über zwölf Jahre.

Kurz zuvor hatten die Grünen noch für einige Aufregung gesorgt, als sie ankündigten, dem Sondervermögen nicht zuzustimmen. Hätten sie das ­getan, wäre der neuen Bundesregierung nichts anderes übriggeblieben, als es im neuen Bundestag zu versuchen. Dort hätten sie die Stimmen entweder der AfD oder der Linkspartei gebraucht. Dass die Grünen es wirklich darauf hätten ankommen lassen, war jedoch kaum vorstellbar – gibt es doch kaum eine Partei, die so stolz darauf ist, sich im Zweifel immer für die »staatspolitische Verantwortung« zu entscheiden, von der in den vergangenen Wochen so oft zu hören war.

8,3 Milliarden Euro pro Jahr für Klimaschutz

Die Grünen taten, was jede Partei an ihrer Stelle getan hätte: Sie ließen Merz zappeln und verlangten Konzessionen, die sie ihren Wählern als politischen Sieg präsentieren konnten. Die Partei hatte gerade erst ein äußerst mieses Wahlergebnis eingefahren, wohl vor allem weil sich ihr Spitzenkandidat Robert Habeck im Wahlkampf auf Teufel komm raus Friedrich Merz als verlässlicher Koalitionspartner angedient hatte. Nun sollte eben der Wille zur Opposition gegen Merz demonstriert werden.

Die Zugeständnisse, die schließlich von den Grünen ausgehandelt wurden, dürften für die Union verschmerzbar sein – zum Beispiel, dass von dem Sondervermögen 100 Milliarden Euro für Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft reserviert werden. Umgerechnet auf die zwölf Jahre Laufzeit sind das 8,3 Milliarden Euro pro Jahr. Sogar der BDI hatte in seinem Papier für diesen Punkt große Summen vorgesehen. Dies sei nötig für die »Transformation zu einem klimaneu­tralen und digitalen Land«, hieß es dort. In der Praxis handelt es sich um Subventionen für zum Teil hochprofitable Industrieunternehmen.

Das BSW verbreitete eine Lüge, weil sie der Linkspartei unterstellen wollte, diese sei nicht dazu bereit, »Kriegskredite« zu verhindern. 

Bis zuletzt verbreitete das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Behauptung, ein Drittel der Stimmen im Bundestag hätten gereicht, um die Auflösung des alten und die Konstituierung des neuen Bundestags zu erzwingen. Das stimmte nicht – dem Bundesverfassungsgericht zufolge braucht es ­dafür eine Mehrheit.

Das BSW verbreitete diese Lüge, weil sie der Linkspartei unterstellen wollte, diese sei nicht dazu bereit, durch ein solches Manöver die »Kriegskredite« zu verhindern. Dieser Begriff fand sich auf den Schildern, welche die BSW-Bundestagsgruppe am Dienstag im Bundestag hochhielten: »1914 wie 2025 – Nein zu Kriegskrediten!« Die groteske Vorstellung, die Bundesrepublik bereite einen Angriffskrieg vor wie einst das wilhelminische Deutschland, ­gehört zur derzeit beliebten Phantasie bei all jenen, die nicht erkennen wollen, welchen Beitrag Wladimir Putin und Donald Trump zur Rückkehr der Aufrüstung nach Europa leisten.