»Ägypten will die Hamas loswerden«

Lazar Berman arbeitet als Journalist und ist Experte für Diplomatie und Sicherheitspolitik des Nahen Osten sowie für christliche Angelegenheiten in Israel bei der »Times of Israel«. Er hat besondere Fachkenntnisse in Militärfragen sowie kurdischen Angelegenheiten. Berman hat einen Abschluss von der Georgetown University in Washington, D. C., im Fachgebiet Militärische Operationen und war Fellow am Jerusalem Institute for Strategy and Security.
Woher kommt der ägyptische Nachkriegsplan für den Gaza-Streifen?
Es ist wichtig, den Hintergrund zu verstehen, vor dem er entstanden ist. Vor Trumps Vorschlag gab es keine Bestrebung unter den arabischen Staaten, einen eigenen Plan vorzulegen. Kein Land hätte davon profitiert, sich zu früh einzumischen, solange der Ausgang des Kriegs ungewiss war.
Sie beziehen sich darauf, dass US-Präsident Donald Trump am 4. Februar sagte, er wolle mit einem »Sanierungsplan« den Gaza-Streifen »übernehmen«, Palästinenser nach Ägypten und Jordanien umsiedeln und die Gegend in die »Riviera des Nahen Ostens« verwandeln. Das hatte weltweite Kritik ausgelöst …
Am 4. Februar war ich im Oval Office, als Trump sagte, dass die USA eine Umsiedlung der Bewohner des Gaza-Streifens anstrebten. Besonders beunruhigt waren die Ägypter, da Trump sie neben Jordanien explizit erwähnte. Die Aufnahme von Hunderttausenden – oder auch nur Zehntausenden – Palästinensern ist eine rote Linie für Ägypten.
Weshalb?
Es war das erste Land, das ein Friedensabkommen mit Israel unterzeichnet hat. Es will vermeiden, als Kollaborateur Israels gesehen und für dessen angebliche Verbrechen gebrandmarkt zu werden. Aber wichtiger ist die Muslimbruderschaft als Bedrohung für Präsident Abd al-Fattah al-Sisi. Sein instabiles Regime hat kaum Kontrolle darüber, was die Muslimbrüder tun. Ägypten betrachtet die Hamas als direkten Ableger der Muslimbruderschaft. 2008 sprengte die Hamas den Grenzzaun zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten, woraufhin um die 700 000 Menschen in den Sinai strömten. Es dauerte über ein Jahr, bis alle zurückkehrten. Ab 2011 entwickelten sich zudem Verbindungen zwischen jihadistischen Aufständischen im Sinai und der Hamas.
»Die Beziehungen zwischen Abd al-Fattah al-Sisi und Benjamin Netanyahu sind sehr persönlich, so wie ein Großteil der Diplomatie im Nahen Osten über persönliche Beziehungen läuft.«
Welche Rolle spielte die Hamas bei den jihadistischen Anschlägen auf ägyptische und ausländische Einrichtungen im Sinai in den Jahren nach 2011, nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Hosni Mubarak?
Diese Angriffe, die von Beduinenstämmen ausgingen, entwickelten sich zu einem jihadistischen Aufstand. Der Gaza-Streifen wurde für einige der Aufständischen zu einem strategischen Rückzugsgebiet. Zu diesem Zeitpunkt war die Sicherheitskooperation zwischen Israel und Ägypten stark. Wenn ägyptische Flugzeuge die Aufständischen bombardierten, durften sie Israel überfliegen. Israel wiederum durfte im Sinai Angriffe gegen die Jihadisten fliegen.
Abgesehen von dieser militärischen Zusammenarbeit, wie sahen die politischen Beziehungen vor dem derzeitigen Krieg im Gaza-Streifen aus?
Unter der Regierung von Ministerpräsident Naftali Bennett wurden die Beziehungen vertrauter und öffentlicher. Beim Gipfeltreffen in der israelischen Negev-Wüste 2022 (zu dem Außenminister Yair Lapid eingeladen hatte, um ein internationales Bündnis gegen das iranische Atomprogramm zu schmieden; Anm. d. Red.) war der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry anwesend. Er hat nie gelächelt, er hat die ganze Zeit ein mürrisches Gesicht gemacht, aber er ist gekommen, im Gegensatz zu Jordanien.
Wie ist die Kooperation seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023?
Die Zusammenarbeit ging weiter. Als Israel den Gaza-Streifen im südlichen Rafah angriff, waren auf der anderen Seite der Grenze ägyptische Truppen stationiert. Israel und Ägypten sorgten dafür, dass diese Truppen nicht gefährdet wurden. Das erforderte enge Zusammenarbeit.
Im Mai 2024 gab es an der Grenze ein Feuergefecht zwischen dem israelischen und ägyptischen Militär. Ein ägyptischer Soldat starb.
Das war lokal, und beide Seiten konnten das schnell überwinden. Die Beziehungen zwischen al-Sisi und Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sind sehr persönlich, so wie ein Großteil der Diplomatie im Nahen Osten über persönliche Beziehungen läuft. Aber die Beziehungen haben sich im Laufe des Kriegs verschlechtert, unter anderem da Netanyahu und hochrangige Beamte Ägypten vorwarfen, sich nicht um Hamas-Tunnel zu kümmern, die auf ägyptisches Gebiert führen.
Was prägt die israelisch-ägyptischen Beziehungen noch?
Die ägyptische Gesellschaft ist zum großen Teil israelfeindlich und der Anteil der Antisemiten ist hoch. Das wird vom Regime genutzt, um Kritik an der eigenen Politik abzulenken. Proteste gegen Israel dienen der Bevölkerung oft dazu, ihre Unzufriedenheit auszudrücken, ohne die eigene Regierung anzugreifen. Neu und relevant ist die Entwicklung bei der Energiepolitik. Europa braucht Erdgas, Israel findet immer mehr davon im Mittelmeer. Da es keine Pipeline gibt, verschifft Israel es nach Ägypten, wo es in Flüssiggas umgewandelt wird. Ägypten hat selbst nicht genügend Ressourcen; vergangenen Sommer gab es einen großen Stromausfall mit Toten, Ministerpräsident Mostafa Madbouly musste sich entschuldigen. Nun bezieht Ägypten einen Teil des Erdgases aus Israel. Diese Beziehungen sind wichtig, auch wegen der Rivalität Ägyptens mit der Türkei um Ressourcen in Libyen.
Die Hamas wird im Wiederaufbauplan nicht erwähnt?
Ja, das ist verrückt. Aber Ägypten will die Hamas loswerden und die israelischen Geiseln frei sehen. Das Problem ist, dass die Hamas bei den Ägyptern auf der Straße viel beliebter ist als Israel. Die ägyptische Regierung muss also aufpassen, was sie sagt, und hinter den Kulissen arbeiten. Sie will keinen Krieg mit der Hamas, sie will lieber als Vermittler zwischen der Hamas und Israel die Kontrolle haben und beide Seiten beeinflussen. Zudem drängt Ägypten auf ein Ende des Kriegs, damit sich die Wirtschaft erholen kann.
Wie sieht das Regime al-Sisis die Trump-Regierung?
Trump genießt Achtung und Respekt. Er wird Barack Obama und Joe Biden vorgezogen. Mubarak, einst ein enger Verbündeter der USA, wurde unter Obama fallengelassen. Als Präsident sprach Biden Ägypten auf die Menschenrechte im Land an. Trump redete über realpolitische und strategische Interessen, was ihm Sympathien in Ägypten einbrachte. Doch die Ägypter verstehen, dass sie sich nicht nur auf die USA verlassen können. In den vergangenen Jahren hat Ägypten seine wirtschaftliche, zivile und nukleare Zusammenarbeit mit Russland intensiviert. Die USA bleiben aber die bevorzugte Option.
Trumps Plan sieht die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser vor.
Der Plan war unrealistisch und schlecht, doch er zwang arabische Länder zur Reaktion. Trump ist gut darin, Heucheleien aufzudecken, auch wenn er es auf eine seltsame Weise tut. Im Syrien-Krieg haben arabische und europäische Staaten Zivilisten aufgenommen, bei den Palästinensern fehlte das. Menschen konnten nicht aus dem Gaza-Streifen fliehen. Es gibt rechtsextreme Israelis, die Palästinenser dort rausschmeißen wollen, aber diese selbst hat keiner vor die Wahl gestellt. Netanyahu hat keinen Plan präsentiert. Er verweist auf Trumps Plan, ohne eine konkrete Perspektive für die Palästinenser zu bieten. Die Hamas-Gegner und kriegsmüden Zivilisten erhalten keine Alternative.
Warum haben die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien keine hochrangigen Vertreter zum Gipfel der Arabischen Liga entsandt?
Ihnen gefällt der Plan nicht, weil er die Hamas ignoriert. Das hat Spannungen zwischen den VAE, Saudi-Arabien und Ägypten ausgelöst. Während die VAE sich zuvor kaum in die Palästinenserfrage einmischten, engagieren sie sich nun im Gaza-Streifen mit Feldlazaretten und Luftbrücken. Ihr Ziel: in der Nachkriegszeit eine Rolle spielen. Zum Teil geht das auf die Rivalität zwischen den drei Ländern zurück. VAE und Saudis haben Ägypten signalisiert, dass Hilfe nur erfolgt, wenn das Hamas-Problem gelöst wird.
Wer sind die unabhängigen palästinensischen Technokraten, die al-Sisi zufolge den Gaza-Streifen auf unbestimmte Zeit verwalten sollten?
Es gibt einige, nicht alle sind mit der Hamas oder der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbunden. Das Problem ist, dass die eingesetzten Beamten immer wissen werden, sollten sie einen Schritt aus der Reihe tanzen, werden eine Menge bewaffneter Männer in ihr Haus kommen. Es spielt also keine Rolle, ob es Technokraten gibt, solange die Hamas stärkste Kraft im Gaza-Streifen bleibt.
Wer kann die Hamas entwaffnen?
Wenn nicht die gesamte arabische Welt und die USA der Hamas sagen, dass es vorbei ist und die Anführer ins Exil fliehen sollen, ist es realistisch gesehen nur das israelische Militär.
Beim Vorbereitungstreffen für den Gipfel am 21. Februar war kein Vertreter der PA anwesend, ihr Präsident Mahmoud Abbas besuchte dann aber den Gipfel. Wird seine Position unter den arabischen Akteuren schwächer?
Fast alle sind Abbas und die PA leid. Er ist 89 Jahre alt, seine letzte Wahl war 2005. Die PA gilt als korrupt und wäre ohne Israels Präsenz im Westjordanland wohl längst kollabiert. Aber die PA als Symbol bleibt wichtig, weil sie eine legitime, nichtterroristische Vision einer Organisation darstellt, die die Palästinenser zu einem Staat führen könnte. Davon sind sie gerade weit entfernt. Es gilt abzuwarten, bis Abbas stirbt oder zurücktritt. Erst dann kann über Reformen gesprochen werden. Bis dahin sind sie kein entscheidender Akteur.