Ein Antimilitarist im Krieg
Das Publikum im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften begrüßte Maksym Butkevych mit stehendem Applaus. Vor über 250 Zuhörern berichtete er über seine Erfahrungen als Kriegsgefangener in der von Russland besetzten Region Luhansk. Fast zweieinhalb Jahre hatte er dort verbracht. Zunächst im Gefängnis und, nach einem Scheinprozess, bei dem er zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde, in einem Straflager.
Der studierte Philosoph und Anthropologe kommt aus einem linken und anarchistischen Milieu, ist aber auch gläubiger orthodoxer Christ. In Kiew war er 2013 an der Gründung des unabhängigen Senders Hromadske Radio beteiligt und berichtete über die Maidan-Proteste. Er ist außerdem Mitgründer des Menschenrechtszentrums Zmina, setzte sich beim »No Borders Project« für Flüchtlinge ein und engagierte sich gegen Rassismus. Auch gegen den Irak-Krieg, an dem zwischen 2003 und 2008 ukrainische Truppen beteiligt waren, demonstrierte er, denn er verstand sich immer als Kriegsgegner.
Butkevych kennt russische Kriegsverbrechen aus erster Hand – in Gefangenschaft wurde er geschlagen und erlebte, wie seine Kameraden schlimm gefoltert wurden.
Als Russland die Ukraine überfiel, meldete er sich freiwillig und half, die ukrainische Hauptstadt vor der russischen Einnahme zu bewahren. Im Sommer 2022 wurde er in den Donbass geschickt, wo er in Kriegsgefangenschaft geriet. Bei einem Gefangenenaustausch am 18. Oktober vergangenen Jahres kam er frei. Seitdem gibt Butkevych zahlreiche Interviews und spricht bei Veranstaltungen über russische Kriegsverbrechen. Er kennt sie aus erster Hand – in Gefangenschaft wurde er geschlagen und erlebte, wie seine Kameraden schlimm gefoltert wurden.
Die UN-Beobachtermission für Menschenrechte in der Ukraine warnte in ihrem neusten Bericht im Februar vor einem »alarmierenden Anstieg von Exekutionen« von ukrainischen Kriegsgefangenen. 79 Hinrichtungen durch russische Soldaten hatte sie seit August 2024 identifiziert.
Was ist ein Pazifist?
Die erste Frage, die ihm die Moderatorin Oleksandra Bienert am Mittwochabend stellte, war, wie ein Antimilitarist wie er überhaupt in den Krieg ziehen könne. Gerade von internationalen Medien sei er oft als Pazifist beschrieben worden, antwortete Butkevych, aber das sei eine Frage der Definition. »Wenn es dabei um jemanden geht, der gegen Krieg protestiert, der Gewalt verachtet und versucht, sie zu verhindern, dann bin ich einer.« Öfter werde der Begriff gebraucht, um diejenige Position zu beschreiben, der zufolge Gewalt unter keinen Umständen eingesetzt werden dürfe. Nach dieser Definition sei er keiner und sei es auch nie gewesen.
Denn wenn man Zeuge eines großen Verbrechens werde, das sich nur durch Gewalt vereiteln lässt, und nichts tue, dann werde man zum Komplizen. Am 24. Februar 2022 seien die Ukrainer:innen in eine Lage versetzt worden, in der sie sich nie wiederfinden wollten. »Wir mussten uns selbst und unsere Liebsten verteidigen. Vor allem aber mussten wir unsere Werte verteidigen.« Das seien vor allem Freiheit und Menschenwürde, die Ukrainer:innen wollten über ihr eigenes Schicksal bestimmen. All dem stehe das Konzept des russkij mir, der »russischen Welt« als kulturelle Totalität, diametral entgegen. Das könne er leider bestätigen, so Butkevych, denn er habe sie von innen gesehen.
Wenn man die Unterstützung der Ukraine mit der Begründung ablehne, dass man für Frieden sei, dann lüge man, so Butkevych. Man solle wenigstens ehrlich sein und sagen, dass man auf der Seite des Aggressors stehe.
Er denke selbstverständlich immer noch, dass Krieg eine schlechte Sache sei und militärische Mittel nur in extremen Situationen gebraucht werden sollten. Gleichzeitig sei er stolz auf die ukrainischen Streitkräfte. Diese würden größtes Vertrauen genießen, mehr als jede andere Institution in der Ukraine, weil sie die ukrainische Gesellschaft repräsentieren. Arbeiter:innen, Busfahrer:innen und Lehrer:innen kämpften ebenso in ihren Reihen wie Menschenrechtler:innen wie er.
Jeder dürfe natürlich seine Meinung haben, aber wenn man die Unterstützung der Ukraine mit der Begründung ablehne, dass man für Frieden sei, dann lüge man. Man solle wenigstens ehrlich sein und sagen, man wolle nicht, dass die Ukraine existiere, und dass man auf der Seite des Aggressors und seines genozidalen Kriegs stehe, dass man Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit unterstütze.
Butkevych ist direkt, seine Stärke liegt in der Unverblümtheit, mit der er auch linke Positionen einem reality check unterzieht. Dafür ist es höchste Zeit.