Hitlers Höhlenkäfer

Anophthalmus hitleri ist ein etwa 5 Millimeter langer augenloser, in Höhlen in Slowenien lebender Käfer von brauner Farbe aus der Familie der räuberischen Laufkäfer, kurz: Hitler-Käfer
Man hat’s nicht leicht als Exemplar einer Spezies. Man krabbelt oder sprießt so nichtsahnend vor sich hin, da kommt plötzlich ein Zoologe oder eine Botanikerin vorbei, und zack, endet man aufgespießt in der Käfersammlung oder gepresst und eingeklebt in einem Herbarium. Hat man besonders großes Pech, gehört man zu einer bisher nicht beschriebenen Art und bekommt auch noch einen wissenschaftlichen Namen verpasst, ohne dass man sich dagegen wehren könnte.
Besonders mies hat es etwa einen Höhlenkäfer aus den slowenischen Kalkalpen getroffen: Der wurde 1937 von dem österreichischen Sammler Oskar Scheibel benannt, und zwar, »dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler als Ausdruck meiner Verehrung zugeeignet«, als Anophthalmus hitleri. Und weil es nach den Regeln der zoologischen Nomenklatur noch schwieriger ist, einen einmal vergebenen Artnamen zu ändern, als für deutsche Städte, Hitler die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen, heißt der Käfer so bis heute. Das bedauernswerte Insekt ahnt davon vermutlich nichts, bekommt die Folgen aber trotzdem zu spüren, denn es ist bei Sammler:innen von Nazi-Devotionalien so begehrt, dass es als bedroht eingestuft wird.
Flexibler als die Kolleg:innen aus der Zoologie zeigte sich im vergangenen Jahr der Internationale Botanische Kongress, der zum ersten Mal in der Geschichte der Taxonomie die Änderung unangemessener Benennungen zuließ. Konkret ging es um verschiedene Pflanzen aus dem südlichen Afrika mit dem Namensbestandteil caffra, angelehnt an einen rassistischen Begriff aus der Zeit der Apartheid. Der Afrikanische Korallenbaum etwa heißt nun offiziell Erythrina afra, was auf den Herkunftskontinent des Schmetterlingsblütlers hinweisen soll.
Das bedauernswerte Insekt namens Anophthalmus hitleri bekommt die Folgen seines Namens zu spüren, denn es ist bei Sammler:innen von Nazi-Devotionalien so begehrt, dass es als bedroht eingestuft wird.
Dass es auch schon zu Kolonialzeiten statt mit Rassismus mit Humor (wenn auch samt einer kräftigen Prise Sexismus) ging, bewies der britische Insektenforscher George Willis Kirkaldy, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Wanzen beschrieb, unter anderem: Marichisme, Dolichisme, Peggichisme und Ochisme – was wie Griechisch anmutet, in englischer Aussprache aber aus »chisme« »kiss me« werden lässt und auf die diversen Liebschaften des Entomologen anspielt. Die Zoological Society of London bemerkte Kirkaldys »Frivolität« offenbar erst nach dessen Tod und erteilte posthum eine Rüge.
So etwas müssen die Paläontolog:innen nicht fürchten, die kürzlich zwei 430 Millionen Jahre Mollusken Punk ferox und Emo vorticaudum tauften. Namensgebend für die Fossilien waren hier deren ungewöhnlich gut erhaltene »Frisuren« aus stacheligen Anhängen. Und auch dass die noch quicklebendige Riesenassel Bathynomus vaderi, wegen ihres markanten Kopfschilds nach dem »Star Wars«-Schurken Darth Vader benannt wurde, dürfte keine Kontroversen auslösen.
Allerdings könnte die plötzliche Prominenz dazu beitragen, dass das Krebstier das Schicksal des Hitlerkäfers teilt. Ihm stellen allerdings nicht Nazis, sondern Gourmets nach: In Südostasien gilt es nämlich als Delikatesse.