Der Präsident beginnt den Kassenkampf
Stark, so schrieb Wolfgang Pohrt einmal, würden die Reaktionäre nicht aus eigener Kraft, sondern wegen der Schwäche ihrer Gegner. Der Beginn von Donald Trumps zweiter Amtszeit ist dafür ein Paradebeispiel. Wo vor acht Jahren auf die Feierlichkeiten zur Amtseinführung mit wütenden Demonstrationen reagiert wurde, herrscht heutzutage allgemeine Resignation: Alles schickt sich ins scheinbar Unvermeidliche.
Führende Vertreter der Demokratischen Partei, die im Wahlkampf nicht müde wurden, Trump als Autokraten in spe anzuprangern, posierten nur wenig später lachend und scherzend mit dem Wahlsieger vor den Kameras; andere verkündeten ihre Bereitschaft, mit der neuen Regierung in Sachen Abschiebung und Sozialkahlschlag zusammenzuarbeiten.
Medienkonzerne wie Meta (Facebook, Instagram) oder der Fernsehsender ABC beeilten sich, noch die abstrusesten von Trump angestrengten Prozesse, die wegen der Rechtsgarantien für die freie Meinungsäußerung nie den Hauch einer Chance besaßen, gegen die Zahlung von zweistelligen Millionenbeträgen außergerichtlich beizulegen – in der Hoffnung, sich so das Wohlwollen des neuen Amtsinhabers zu erkaufen.
Voreiliges Lob für Trumps Dekrete
So zahlte ABC 15 Millionen Dollar an das Projekt einer presidential library, die in Zukunft die beiden Amtszeiten Trumps dokumentieren soll. Der Grund: Trump hatte den Sender verklagt, weil ein Moderator gesagt hatte, Trump sei der Vergewaltigung schuldig befunden worden – das sei »im üblichen Sinn des Wortes« richtig, hatte der Richter Lewis A. Kaplan betont, nur wegen der sehr engen Fassung der New Yorker Gesetze zur Tatzeit sei Trump nur des sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen worden.
Und Kommentatoren bescheinigten Trump anerkennend, das Trommelfeuer der Dekrete sei um vieles besser und professioneller vorbereitet als das in seiner erster Amtszeit, als man das Einreiseverbot für Muslime dreimal nachbessern musste, bevor der Oberste Gerichtshof sein Plazet geben konnte.
Das Lob, so sollte sich herausstellen, war freilich etwas voreilig. Mit dem von der Regierung verkündeten Stopp aller Zahlungen (funding freeze) für laufende Bundesprogramme war das altbekannte Chaos der ersten Amtsperiode zurück. Am Montag vergangener Woche tauchte ein Memorandum aus dem Office of Management and Budget, dem Amt für Haushaltsführung, auf, dem zufolge sämtliche gesetzlich bewilligten Mittelzuwendungen für einen unbestimmten Zeitraum ausgesetzt seien. Ausgenommen waren allein die individuellen Leistungen der staatlichen Renten- und Krankenkassen.
Damit, so die Begründung, solle sichergestellt werden, dass Steuergelder nicht zur Finanzierung von »marxistischer Verteilungsgerechtigkeit, Transgenderismus und Green New Deal« aufgewandt werden. In der Folge stellten zahlreiche aus der Staatskasse finanzierten oder bezuschussten Sozialprojekte, von Vorschulen über die Veteranenbetreuung bis zu Seniorenspeisungen und Katastrophenschutz, vorübergehend ihre Leistungen ein.
Murren auch bei den Republikanern
Der Spuk hatte nach kaum 48 Stunden ein Ende. Weil die Anweisung, wie zahlreiche andere Exekutivmaßnahmen zuvor auch, ganz offenkundig verfassungswidrig war, wurde sie von gleich mehreren Richtern per einstweiliger Verfügung ausgesetzt: Die Zahlungen waren schließlich vom Kongress beschlossen worden, hatten also Gesetzeskraft. Das Memorandum, von dem niemand so recht zu sagen wusste, wer es eigentlich zu verantworten hatte – der von Trump vorgesehene Behördenleiter muss noch vom Senat in seinem Amt bestätigt werden –, wurde daraufhin kurzerhand für aufgehoben erklärt.
Was Trumps Pressesprecherin wiederum nicht daran hinderte, öffentlich zu erklären, in der Sache würden die Bestimmungen darin weiterhin gelten. Ob also Gelder in Zukunft fließen werden, und wenn ja, welche, weiß derzeit niemand so recht zu sagen. Das sorgte selbst in der eigenen Partei für etwas Murren: Auf staatliche Transferzahlungen sind auch, und gerade, Wähler in den republikanisch regierten Bundesstaaten angewiesen.
Viele Beobachter verstanden den Vorstoß als eine Art Test: Wie beflissen sind die republikanischen Kongressabgeordneten bereit, ihrer eigenen Entmachtung zuzustimmen? Das mag sein. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die Beteiligten ihren eigenen Phantasmen, der Staat treibe den lieben langen Tag nichts anderes, als wackeren Unternehmern böswillig Steine in den Weg zu legen, Glauben schenken. Vieles deutet dabei auf die Kohorte um Elon Musk hin, der sich derzeit in der Rolle als graue Eminenz der neuen Regierung gefällt.
Verträge ungerechtfertigte Einschränkungen der Freiheit
Gleichzeitig mit dem Memorandum kursierten E-Mails an zahllose Regierungsangestellte, die aufgefordert wurden, gegen eine (selbstverständlich nicht vom Kongress genehmigte) Einmalzahlung per Mausklick zu kündigen. Das Schreiben war eine Kopie jener Mail, die nach Musks Twitter-Übernahme an die dortigen Mitarbeiter herausgegangen war; und ebenso verfügte Musk als neuer Eigentümer von Twitter die Einstellung aller laufenden Zahlungen an externe Dienstleister, unter anderem wurde er wegen Mietrückstand verklagt.
In der Ideologie des neuen Raubrittertums sind Verträge ungerechtfertigte Einschränkungen der Freiheit und Arbeitskräfte nicht etwa ein notwendiges Übel, ohne die es keine Produktion gäbe, sondern Parasiten, die den Mann an der Spitze um die Früchte seines Genies bringen. Naheliegend, die gleiche glorreiche Idee auch bei der Regierungsübernahme in die Tat umzusetzen.
Die Farce verweist freilich auch auf die Widersprüche in der »Make America Great Again«-Bewegung. Während die Multimilliardäre, mit denen Trump sich am liebsten umgibt, ihre Chance gekommen sehen, die Fesseln des Staats, also des ideellen Gesamtkapitalisten, abzustreifen und ihr anarchokapitalistisches Paradies zu verwirklichen, gilt fürs Fußvolk, dass es den Staat nicht zerschlagen, sondern zur Waffe machen will.
Staatsaufwendungen für Infrastruktur und Sozialmaßnahmen
Sie bejubeln die Inszenierung des starken Mannes, der den anderen – den Geflüchteten, den Trans-Personen, den Bürokraten und Intellektuellen, den Bedürftigen in armen Ländern, denen die Entwicklungshilfe gestrichen wird – zeigt, wo der Hammer hängt, solange für sie selbst nur alles beim Alten bleibt. Wo es ihnen aber an den Kragen zu gehen droht, hört der Spaß auf. Nie war Trump während seiner ersten Amtsperiode unpopulärer als in jenen Monaten, in denen es schien, er könne sein Wahlversprechen einhalten und die von Präsident Barack Obama eingeführte Gesundheitsreform zu Fall bringen.
Insofern kann die bizarre Episode durchaus der Wahrheitsfindung dienen: Es gibt kaum eine bessere Demonstration als diese, dass Staatsaufwendungen für Infrastruktur und Sozialmaßnahmen nicht etwa ein Ausdruck von Stalinismus sind, sondern schlicht die Voraussetzungen eines funktionierendes bürgerlichen Gemeinwesens.
Die vielleicht letzte Hoffnung der Zivilisation liegt darin, dass diesmal kein gütiges Schicksal die Trump-Anhänger davor bewahrt, exakt das zu bekommen, was sie im November gewählt haben.
Die nächste Lehrstunde, die Erhebung von Einfuhrzöllen von 25 Prozent auf Produkte aus Kanada und Mexiko sowie zusätzlichen zehn Prozent für chinesische Produkte (bereits in den Jahren 2018 und 2019 war nahezu der ganze chinesische Import in die USA mit Strafzöllen unterschiedlicher Höhe belegt worden), welche diverse Gegenstände des alltäglichen Konsums zu verteuern drohen, stand bereits auf der Tagesordnung – doch am Montag kündigte Trump an, die Mexiko und Kanada betreffenden Zollerhöhungen für 30 Tage auszusetzen.
Vielleicht besteht darin die letzte Hoffnung der Zivilisation: dass bei konsequenter Durchsetzung der Pläne Trumps diesmal kein gütiges Schicksal seine Anhänger davor bewahren könnte, exakt das zu bekommen, was sie im November gewählt haben.