30.01.2025
Der Punk gehört der Jugend

Wider den Zynismus

Punk ist nicht erledigt, solange es noch jugendliche Außenseiter gibt, die einen Zufluchtsort suchen.

Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch ­gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. 

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Die meisten Texte, die im Laufe der Jahre über die Geschichte des Punk verfasst worden sind, machen denselben Fehler: Sie erzählen die Geschichte dessen, was auf der Bühne geschah, und nicht die der Menschen, die vor der Bühne standen. Für sie ist die Geschichte des Punk nichts als die Biographie großer Bands. Was es stattdessen bräuchte, ist – frei nach dem US-amerikanischen Historiker Howard Zinn – eine people’s history of punk.

Ansätze dazu gibt es in dem Podcast »Und dann kam Punk«, in dem Menschen erzählen, wie sie zum Punk gekommen sind. Doch auch dort kommt in erster Linie jene Personengruppe zu Wort, die Marc Calmbach in »More than Music« als »Organisationseliten« der Szene bezeichnet hat. Was fehlt, sind die Erzählungen derjenigen, die einfach nur Punks waren und die keine Spuren auf Discogs hinterlassen haben.

Die meisten Fanzines sind in so kleiner Auflage erschienen, dass sie es nie in irgendein Archiv geschafft haben, und die meisten Bands haben, wenn überhaupt, dann nur verrauschte Proberaum- oder Live-Aufnahmen hinterlassen. Die meisten Bands, die es während meiner Jugend in unserer Kleinstadt Bad Bramstedt gab, haben es nie wirklich rausgeschafft: Pinnacles, Zlamativ, Cocksuckers, Marker X Syndrome. Nur Smegma hielten die Fahne des kleinen Kurorts hoch mit ihrem Schrammel-Oi!.

Für die allermeisten war Punk in allererster Linie eine Möglichkeit, die Zeit bis zur Beerdigung auf etwas erträglichere Art und Weise rumzukriegen.

Wie so eine people’s history klingen könnte, kann man bei Knarf Rellöm in »Autobiographie einer Heizung« nachhören: »Ich erinnere mich an Freitagabende, an herumfahren auf dem Land, nach einer Fete suchen, das Bier klauen, den Kühlschrank leer klauen, vom Fetengeber einen Fußtritt in den Magen kriegen und sich in das mit laufendem Motor wartende Auto werfen. Der geklaute Joghurt zerläuft unter der Lederjacke.«

Das liest sich vielleicht nicht so spannend wie die Heldengeschichten eines Johnny Rotten oder eines Jello Biafra, aber für die allermeisten war Punk in allererster Linie eine Möglichkeit, die Zeit bis zur Beerdigung auf etwas erträglichere Art und Weise rumzukriegen. Punk war die meiste Zeit langweilig. Punk war Abhängen auf Parkbänken, an Bushaltestellen und auf der Kirchenmauer. Punk war der Bundeswehrrucksack voll Karlsquell und »Schlachtrufe BRD II« aus dem Kassettenrekorder.

Ein sozialer Ort, an dem die Kids sie selbst sein konnten

Und doch waren Punk und später dann auch Hardcore so viel mehr als das, und sie sind es nach wie vor. Bane beschreiben Hardcore in »Can We Start Again« als »a place where the strange were accepted, judged by what’s inside«.

Klar war das Wunschdenken. Aber halt nicht nur. Millionen von Kids überall auf der Welt haben im Lauf der Jahre in Hardcore und Punk einen sozialen Ort gefunden, an dem sie sie selbst sein konnten mit all ihren Fehlern. Einen Ort, an dem es okay war, ein »Heimkind« (Cretins) zu sein oder zu den »schwulen Säuen, dreckigen Zecken und genialen Krüppeln« (Muff Potter) zu gehören. Das ist die Superpower des Punk. Menschen ein Zuhause geben, die die Gesellschaft und manchmal auch die eigene biologische Familie vor die Tür gesetzt hat.

Im Punk hat es immer auch Platz gegeben für Alkis und Junkies, die in der Regel sehr gute Gründe für ihre Art der Selbstmedikation hatten. Man hing ab mit Leuten, die auf Heroin waren, oder auch mit Pappen-Benny, der nie aufhören konnte zu reden und der so hieß, weil er angeblich auf LSD hängengeblieben war. Sie gehörten einfach dazu. Weil Punk bedeutet, zu akzeptieren, dass alle kaputt sind, dass alle von den Verhältnissen kaputtgemacht werden. Auch wenn einige das vielleicht besser verstecken können als andere.

Riot Grrrl in den Neunzigern

Punk war auch nie so weiß, so männlich, so hetero, wie es sich in den meisten Büchern liest. Gerade auch für Menschen, die aus den ihnen von ihrer jeweiligen Familie oder »Community« gesetzten Normen ausbrechen wollten, konnte Punk eine wichtige Anlaufstelle sein. Sicher war es auch für einen weißen und heterosexuellen jungen Mann nicht immer einfach, einen anderen Weg einzuschlagen, als es sich Eltern oder Gesellschaft gewünscht hätten. Für junge Frauen aber oder für queere oder nichtweiße Menschen egal welchen Geschlechts war es noch einmal um ein Vielfaches schwerer.

Genau deshalb konnte Riot Grrrl in den Neunzigern ja auch so explodieren. Bands wie Bikini Kill oder Bratmobile brauchten nur den Startschuss geben und überall, wo Mädchen und junge Frauen ihn hörten, entstanden Bands und Zines und Kunst, bei denen das Beuys’sche »Jeder Mensch ist ein Künstler«, das häufig eher mit dem frühen Punk in Verbindung gebracht wird, endlich wirklich eingelöst wurde. Haben die Genialen Dilletanten ihr Tun noch als Kunst begriffen, ging es bei Riot Grrrl in erster Linie um kollektive Selbstermächtigung gegen das allgegenwärtige Patriarchat. Dass dabei auch sehr viel sehr gute Musik herauskam, war zumindest zu Anfang eher ein positiver Nebeneffekt.

Neben Riot Grrrl und sich zum Teil überschneidend kam auch Queercore oder Homocore auf. Bands wie Team Dresch oder Tribe 8 wurden bis in den Mainstream hinein wahrgenommen. Pansy Division gingen sogar als Vorband von Green Day auf Tour durch große Multifunktionsarenen und brachten so ihre Songs wie »Deep Water«, der vom Aufwachsen als schwuler Jugendlicher im ländlichen Raum handelt, genau dorthin, wo sie gebraucht wurden. Der Spruch »Punk Rock Saved My Life« ist ein beliebtes T-Shirt- und Aufnähermotiv. In manchen Fällen stimmt er wortwörtlich.

Punks in der indonesischen Provinz Aceh

Heute sind Hardcore und Punk vielfältiger und vielschichtiger denn je. Ähnlich wie in den Achtzigern in Spanien und Lateinamerika Bands gegen die Diktatur in ihrem jeweiligen Land ansangen, gehören heute in Indonesien oder auf den Philippinen Hardcore und Punk fest zur Subkultur der außerparlamentarischen Linken, die sich der jeweiligen autoritären Regierung entgegenstellt. Und wo bei den Sex Pistols Anarchie noch lediglich Metapher für Chaos und Halligalli war, versteht man sie dort als tatsächliche politische Idee.

Man erinnere sich an die Bilder von den Punks in der indonesischen Provinz Aceh, die 2011 wegen Verstößen gegen die Sharia kahlgeschoren und in Umerziehungslager gesteckt wurden. Wer glaubt, Punk sei nur noch ein Hobby wohlstandsverwahrloster Mittelstandspapas, sollte dringend mal vom heimischen Sofa aufstehen.

Dazu muss man ja nicht gleich ein Flugticket ans andere Ende der Welt buchen. Es reicht, einmal den Computer anzuschmeißen und sich anzuhören, was Bands wie Akne Kid Joe, ROi!m- & StrOi!- FahrzOi!ge oder Deutsche Laichen machen. Und vor allem auch, wen sie damit erreichen. Während alte Säcke wie ich sich wahlweise ihren Bauch kraulen oder versuchen, ihn wieder loszuwerden, wächst da draußen bereits die überübernächste Generation junger Punks heran, die jetzt schon politisch so viel weiter sind als ich in ihrem Alter, dass ich ehrlich gespannt bin, womit sie noch alles um die Ecke kommen.

Wenn Altpunks nicht mehr mit­kommen oder nicht mehr verstehen, was das alles eigentlich soll, dann spricht das nicht gegen, sondern für den Punk von heute.

Was 1977 oder auch 1994 Punk war, ist heute Classic Rock. Punk ist im Kern noch immer eine Jugendkultur und gehört immer denen, die gerade jung sind. Wenn Jans über 40 da nicht mehr mitkommen oder nicht mehr verstehen, was das alles eigentlich soll, dann spricht das nicht gegen, sondern für den Punk von heute.

»Nicht zynisch werden«, forderten … But Alive 1995. Das ist 30 Jahre her, hat aber nichts an Bedeutung verloren. Es ist leicht, an den Zuständen zu verzweifeln, aber irgendwie ist es auch zu einfach. Nicht aufzugeben und nicht alles scheiße zu finden, vielleicht sogar Hoffnung zu haben, ist viel schwie­riger.
Eine Freundin erzählte mir vor einiger Zeit, die Neo-Riot-Grrrl-Band The Linda Lindas sei die Lieblingsband ihrer Tochter im Grundschulalter and I think that’s beautiful.

Geschichten wie diese geben mir Hoffnung. Vielleicht hatten Unwound unrecht. Vielleicht ist das Licht am Ende des Tunnels doch kein Zug.