30.01.2025
Moses Pelham ermöglicht Xavier Naidoo das musikalische Comeback

Der Verstand macht Pause

Auf dem soeben erschienenen »Abschiedsalbum« des Rappers Moses Pelham begegnet man alten Bekannten: Xavier Naidoo und den Böhsen Onkelz.

Wenn ein deutscher Rapper, der eine über 30 Jahre währende Karriere hinter sich hat, darüber spricht, wie er als junger Mensch begonnen hat, sich mit HipHop zu beschäftigen, klingt das so: »Man hat sich als junger Mensch vor Augen geführt, was man an positiven Dingen mitbringt, um gestärkt in die Welt zu gehen.«

Auch wenn man von dem armseligen Motivationstrainer­jargon einmal absieht, hat dieser Satz keinen erkennbaren Inhalt. Formuliert ist er jedenfalls in genau dem Fitnessstudiodeutsch, das heutzutage fast alle sprechen, ohne dass es jemandem auffällt. Es ist eine Nullaussage, die auch Friedrich Merz (CDU), wenn ihn die Erinnerung an seinen Eintritt in die Junge Union überkommt, getroffen haben könnte.

Der Satz stammt aus einem Interview, das der Musikproduzent und Rapper Moses Pelham soeben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab. Im selben Interview bestätigt der Künstler mit einem anderen großartigen Satz auch jenen Verdacht, den man hinsichtlich der Beweggründe von jugendlichen Rappern, mit dem Rappen zu beginnen, schon immer hegte: »Am Anfang war es eine Möglichkeit, darauf aufmerksam zu machen, dass es mich gibt.«

In einem Mitte Januar publizierten Spiegel-Gespräch wiederum zeigt sich in Pelhams Antworten ein Wechselspiel aus ernstjüngerhafter Selbstdisziplinierungs- und Durchhaltegesinnung (»Wenn es nicht wehtut, ist es nichts wert«) und Untertanenstolz (»Ich bin dankbar für das, was ich habe. Ich habe eine Goethe-Plakette«).

Mit dabei auf Pelhams »Abschiedsalbum« ist die einst rechtsextreme Band Böhse Onkelz, die in den achtziger Jahren mit Titeln wie »Türkenfotze« und »Judenstaat« bekannt wurde.

Vielleicht, so darf man mutmaßen, ist eine Mischung aus Sendungsbewusstsein, soldatisch-androzentrischer Selbstoptimierungsmentalität, überschaubarem Wissen und dem Fehlen sprachlicher Möglichkeiten, dieses mitzuteilen, ja eine Grundvoraussetzung für das Fabrizieren von deutschem Rap, zumindest dem der kommerziellen Variante. Oder besser gesagt: Vielleicht ist das ein Grund, warum sich deutscher Rap oft zu jeweils einem Viertel nach Kitsch, »Ich hab die dicksten Eier«-Gemackere, Fitnessstudioreklame und Bausparvertrag anhört.

Jedenfalls: Pelham hat einige seiner Kumpels, die ihm intellektuell ebenbürtig sind, eingeladen, auf seinem »Abschiedsalbum« mitzuwirken, das am Freitag vergangener Woche erschien und den grandios pompösen Titel »Letzte Worte« trägt. Mit dabei ist etwa die einst rechtsextreme Band Böhse Onkelz, die in den achtziger Jahren mit Titeln wie »Türkenfotze« und »Judenstaat« bekannt wurde, bevor sie sich in den Neunzigern einer Art pathetisch aufgeladenem Schlager-Rock zugewandt hat, den man »als den Soundtrack für AfD und Pegida betrachten könnte« (Jens Balzer).

»Der Sänger hat aus der Platte herausgeblutet, Mann!«

Im Gespräch mit dem Spiegel beschrieb Pelham das Hören seines ersten Böhse-Onkelz-Albums (»Es ist soweit«, erschienen 1990) als Initi­ationserlebnis: »Der Sänger hat aus der Platte herausgeblutet, Mann!« Die rassistischen Texte der Band aus ihrer Frühphase relativierte er: »Die waren damals Kinder und hatten eine schlechte Erfahrung mit einer türkischen Gang. Dass das so hochgehängt wird, finde ich schon kritisch.«

In dem Lied auf »Letzte Worte«, das gemeinsam mit den Böhsen Onkelz entstand (»Besseres für uns«), wird »Blut« auf »Wut« gereimt und »Rücken« auf »unterdrücken«. Pelham hat zweifelsohne seine Goethe-Plakette, mit der er vor einigen Jahren von der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet wurde, redlich verdient. In dem Lied kommt auch das schöne Wort »Bedürfnispyramide« vor, auf dieses war jedoch anscheinend kein passender Reim zu finden: »Auch wenn Hoffnungen hier alt sind, kannst du doch was tun / Ich hab’ die Knochen hingehalten und den Kopf dazu / Vielleicht spürst du es ma’ wieder / Wir hab’n die Spitze nicht erreicht ­dieser Bedürfnispyramide.«

Der durch allerlei ­antisemitische Äußerungen aufgefallene Schlager­sänger Xavier ­Naidoo möchte offenbar un­bedingt zurück ins Business.

Auch der in der Vergangenheit durch allerlei ­antisemitische Äußerungen aufgefallene Schlager­sänger Xavier ­Naidoo, der zeitweise krude rechtsex­treme Verschwörungserzählungen verbreitete (»Adrenochrom«), möchte offenbar un­bedingt zurück ins Business. In seinem Telegram-Kanal erzählte er seinen Fans, dass die Juden sich »die Welt untertan gemacht« hätten, und teilte ein Video mit der Aussage, der Holocaust sei eine »gelungene historische Fiktion«. Nun ist er an drei Songs auf Pelhams neuem Album beteiligt. ­Seine einige Jahre währende künstlerische Pause scheint damit beendet zu sein.

In dem als Duo mit Pelham gekennzeichneten Lied »Sound Good« macht Naidoo folgende bahnbrechende Mitteilung: »I sound good, feel good /Smell good (Oh) / Well I sound good, feel good / And make love good«. ­Textlich mag das, verglichen mit der oben zitierten Albumlyrik, ein großer Fortschritt sein. Was einen allerdings nicht wundern sollte, denn diese ­Verse, die zu Beginn des Songs auch als Samples zu hören sind, stammen im Original aus einem bizarren Fernsehinterview, das der US-amerikanische Musiker und Sänger James Brown 1988 gab.

Naidoo sei »wie ein Bruder« für Pelham

Pelham gibt an, von den Vorwürfen gegen den wegen Volksverhetzung ­angeklagten Naidoo nichts zu wissen oder sich bislang nicht damit beschäftigt zu haben. Auf die zahlreichen Vorwürfe gegen Naidoo angesprochen, sagte er dem Spiegel, er finde bei ihm »einen Halt, den mir ganz viele an­dere Leute überhaupt nicht geben können«.

Der FAZ teilte er mit, Naidoo sei »wie ein Bruder« für ihn: »Es gibt Vorwürfe, von denen ich erst jüngst hörte, mit denen muss ich mich noch auseinandersetzen. Aber das will ich mit ihm und nicht in der Öffentlichkeit machen.« Das Nachrichtenportal ­T-Online ließ er wissen: »Wenn er singt, klingt es für mich nach Zuhause.« Was die Einschätzung seines eigenen künstlerischen Werks betrifft, hat Pelham ­einen besonders schönen Satz parat: »Ich war mir nicht immer sicher, dass es gut ist, aber ich habe es gefühlt.«

Manchmal spielen Gefühle eine große Rolle. Der Verstand macht dann ­gelegentlich Pause. Ein Zustand, der seit Jahrhunderten Menschen miteinander verbindet.

Die FAZ ist sich anscheinend zu fein, Xavier Naidoo als das zu bezeichnen, was er ist, und nennt ihn eine »umstrittene Figur«. Das kann man natürlich so machen. Auch beim Ku-Klux-Klan handelt es sich, wenn man so will, um eine umstrittene Nichtregierungsorganisation. Und genaugenommen gilt auch der Führer heutzutage wieder als umstrittene historische Figur. Den meisten Deutsch-Rappern würde im Übrigen die Lektüre von Klaus Theweleits Werken gewiss nicht schaden.