23.01.2025
Coaching gegen Arbeitsstress

Love it, change it or leave it

Ein klassisches Coaching wäre in jeder bierernsten Politgruppe wahrscheinlich ein Flop. Am Arbeitsplatz feiert die neoliberale Methode der therapeutischen Selbstoptimierung hingegen seit Jahren große Erfolge.

Unter Linken ist es ja oft verpönt, die Dinge einfach auszudrücken. Zu groß ist die Angst, ein Detail zu übersehen oder einen Begriff nicht ganz richtig zu verwenden. Nicht auszudenken, was einem blüht, wenn beispielsweise die Kapitalismuskritik verkürzt daherkommt.

Ein klassisches Coaching wäre deshalb wahrscheinlich ein Flop in jeder bierernsten Politgruppe. Am Arbeitsplatz feiert die neoliberale Methode der therapeutischen Selbstoptimierung hingegen seit Jahren große Erfolge. Sie verspricht emotionale Entlastung, Stressabbau, Perspektivwechsel und erhöhte Selbstreflexionsfähigkeit.

Humor-, Dating-, Mental-, Sex-, Yoga-, Lifestyle- und Jobcoaching

Letzteres wäre in den meisten Politgruppen ohnehin hinderlich. Grundsätzlich ist die Sinnsuche bei ideologisch gefestigten Menschen wahrscheinlich nicht so angesagt.

Dabei ist von Humor- über Dating-, Mental-, Sex-, Yoga- und Lifestyle- bis hin zu Jobcoachings mittlerweile jedes erdenkliche Angebot zu finden. Völlig evidenzbefreit und trotz seines Rufs, allerlei Scharlatane anzuziehen, wird das Jobcoaching vor allem im mittleren Management immer häufiger angeboten. Dabei geht es um sogenannte Personalentwicklung. Einzeln oder in Teams sollen konkrete Lösungen für konkrete Probleme gefunden werden.

Scheiß auf das Richtige im Falschen! Lasst uns das Leben einfach genießen, machen wir es uns doch nicht immer so unnötig schwer.

Vor allem aus Neugierde, und damit man bei romantischen Winterspaziergängen etwas zu erzählen hat, wird ein Selbstversuch im Coaching gewagt. Denn Coaching besteht in erster Linie aus griffigen Sprüchen und Slogans, die sich hervorragend zum Zweck der Unterhaltung zum Besten geben lassen. So erklärte der Coach neulich, dass die Probleme der Arbeitswelt und eigentlich auch die privaten ganz einfach zu bewältigen seien. Man müsse einfach alles, was man tut, in drei Kategorien teilen: love, change und leave.

Es gibt demnach Dinge, die man liebt, Dinge, die man verändern will, und Dinge, die man loswerden möchte. Wenn man die Welt so betrachtet, sei es am Ende ganz einfach, sich das gute und schöne Leben zusammenzupuzzeln, davon ist er fest überzeugt.

»Liebe kennt keine Liga«

Toll! Scheiß auf das Richtige im Falschen! Lasst uns das Leben einfach genießen, machen wir es uns doch nicht immer so unnötig schwer. Der Coach lächelt. Gemeinsam gehen wir ein paar der Aufgabenfelder durch und sortieren alles in die drei Kategorien ein. Das geht erstaunlich schnell und fühlt sich wie ein flinkes und effizientes Ausmisten an. Alles, was nicht glücklich macht, fliegt raus. Wie bei der japanischen Ordnungspredigerin Marie Kondo.

Am Ende der Stunde gibt es noch ein bisschen Smalltalk. Er mag Fußball. Bald wird die Bundesliga wieder anfangen. »Welcher Verein ist denn deiner«, frage ich ohne bösen Hintergedanken. »Schalke«, sagt er. Kurzes Schweigen. Man sieht, wie der Mann ins Grübeln gerät. Ich glaube, er wird ein bisschen blass um die Nase.

Dann berappelt er sich wieder. Das Lächeln kehrt in sein Gesicht zurück: »Aber Liebe kennt keine Liga«, sagt er, sichtlich erleichtert, dass ihm auch zu diesem schwierigen Fall noch was eingefallen ist.