»I love Hamas«
Am 7. Oktober vergewaltigte, verschleppte und ermordete die Hamas Hunderte Frauen aus Israel. Die Islamisten hielten ihre Taten auf Videos fest und verbreiteten diese stolz im Internet. Auch ein Jahr später bleibt die Solidarität feministischer Gruppen und Organisationen mit den Israelinnen aus. Auf der jährlich stattfindenden Demonstration am 25. November anlässlich des Tags zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen sah man in Berlin viele agitierte Männer, Kufiyas und Schilder gegen Israel. Eine Demonstrationsteilnehmerin trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »I love Hamas«. Was macht die palästinensischen Islamisten so attraktiv für die selbsternannten Feministinnen und warum fehlt ihnen das Mitgefühl für Jüdinnen? Deborah Eller argumentierte, dass der antiisraelische Feminismus keiner sei, da er die Emanzipation aller Frauen einer vermeintlich dekolonialen Agenda unterordnet (»Jungle World« 51–52/2024).
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Am 8. Oktober 2023 strahlte die »Tagesschau« eine Videoaufnahme der Hamas aus. Zu sehen ist die Israelin Doron Asher, die auf brutale Weise mit ihren zwei Töchtern (zwei und fünf Jahre alt) von Hamas-Kämpfern gekidnappt wird. Der Kommentar eines Sprechers dazu lautet: »100 Geiseln befinden sich in Gewalt der Hamas – vom Westen als Terrororganisation eingestuft«.
Sogar deutsche Nachrichten lassen mitunter Interpretationsspielraum, ob es sich bei bewaffneten Jihadisten, die Zivilisten und Kleinkinder entführen und dies stolz im Internet präsentieren, um Terroristen handelt. Man sollte sich daher nicht allzu sehr über die Verirrungen politisch randständiger Gruppen wundern. Dennoch hätte man erwarten können, dass zumindest feministische Organisationen die gezielt gegen Frauen gerichteten Gewalttaten am 7. Oktober – und darüber hinaus gegenüber den in den Gaza-Streifen verschleppten Geiseln – als solche verurteilen würden. Jedoch: Fehlanzeige.
Zahlreiche Feministinnen und feministische Organisationen äußerten sich zunächst mit keinem Wort zur geschlechtsspezifischen und sexuellen Gewalt der Hamas und ihrer Mittäter, obwohl die Bilder der misshandelten israelischen Frauen sofort um die Welt gegangen waren. Ein Beispiel hierfür ist ein Beitrag auf Instagram der größten feministischen Zeitschrift Deutschlands – des Missy Magazine.
Die Zeitschrift »für Pop, Politik und Feminismus« proklamierte am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen – keine zwei Monate nach dem 7. Oktober 2023 – Solidarität mit Betroffenen von Gewalt auf der ganzen Welt und zählte dabei über ein Dutzend Nationen auf, darunter Indien, Mexiko und Palästina. Die israelischen Frauen wurden jedoch nicht einmal in einer Fußnote erwähnt. Die Redaktion erhielt Kritik, entschuldigte sich und verlautbarte, man habe die »jüdische Perspektive vergessen«.
Die Reaktionen auf den 7. Oktober haben den Antisemitismus – den es in feministischen Zusammenhängen bereits gab – offengelegt.
Jüdische Perspektive und westliche Einschätzung – solche Formulierungen legen nahe, dass die Einordnung der Gewalt eben Ansichtssache sei oder eine Frage der persönlichen Betroffenheit. Frauen halbnackt und blutverschmiert vor grölenden Männerhorden vorzuführen, an den Haaren zu zerren und zu bespucken, sie nach Alter zu sortieren und zu versklaven – für die einen Ausdruck von Sadismus und absoluter Entmenschlichung, für die anderen eben eine Form des politischen Widerstands. Alles eine Frage der Perspektive.
Die Auflösung jeglicher moralischen Grenzen wurde zuletzt auf einer Kundgebung in Berlin anlässlich des 25. November offensichtlich. Während das Missy Magazine in diesem Jahr das Thema »Nahost-Konflikt« offenbar zu vermeiden versuchte, blieb der Kampf gegen Israel bei der sich intersektional und antirassistisch bezeichnenden Gruppe Alliance of Internationalist Feminists, die die Demonstration organisierte, weiterhin ganz oben auf der Agenda.
Sie veröffentlichten auf ihrer Instagram-Seite ein Foto von der Veranstaltung, das die Haltung der Gruppe nicht deutlicher hätte veranschaulichen können. Zu sehen ist eine Frau, die lächelnd auf ihren Aufkleber mit der Aufschrift »I love Hamas« blickt. Aus ihrem Gesicht spricht Glückseligkeit, nicht Trauer, Wut oder Verzweiflung angesichts des Leids, das der 7. Oktober 2023 und der darauffolgende Krieg unter jüdischen und arabischen Menschen in der Region verbreitet hat. Die Frau mit Kufiya und »Long live the Intifada«-Schriftzug auf der Brust blickt lächelnd auf ihren Hamas-Sticker, als wolle sie ein für alle Mal klarstellen, wes Geistes Kind sie ist – für den Fall, das daran noch jemand gezweifelt hat.
Ein beinahe religiöses Motiv
Ihr Lächeln verweist auf die psychische Konstitution einer ganzen Gruppe von Leuten. »Palestine will set us free« (Palästina wird uns befreien) wurde zum Kampfruf der sich »antikolonial« bezeichnenden Aktivisten gegen Israel und verdeutlicht die phantasierte Erlösung, die für diese Menschen mit der angestrebten Vernichtung des jüdischen Staats einhergeht. Ein beinahe religiöses Motiv, wie Ingo Elbe bei einem Vortrag zu dem Buch »Erinnern als höchstes Vergessen« kommentierte.
Das Gesicht der Frau auf der Berliner Kundgebung spricht in diesem Sinne Bände. Es bezeugt den fanatischen Erlösungsantisemitismus, dem im Kampf gegen den als übermächtig imaginierten »Juden unter den Staaten« jedes Mittel recht ist. »Das ist mein Standpunkt – ohne Wenn und Aber«, konstatiert die Hobbyfotografin, nachdem sie mit Kritik an ihrem Bild konfrontiert wurde. »Resist by any means necessary« heißt es auf einem anderen Sticker der Alliance of Internationalist Feminists. »Widerstand« ist auch der Begriff, den Judith Butler für den genozidalen Überfall der Hamas wählte, um noch im März 2024 anzumerken, es gebe ja keine Beweise für sexuelle Gewalt.
Der UN-Bericht unter Leitung von Pramila Patten bezeugt jedoch eindeutig die geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt durch die Hamas. Genannt werden darin unter anderem glaubwürdige Informationen über entkleidete, gefesselte und geknebelte Frauenleichen, was vorsichtig als »Hinweis« auf sexuelle Gewalt bewertet wird. Es gebe zudem Grund zur Annahme, dass es an mehreren Orten in der Peripherie des Gaza-Streifens zu Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen kam.
Schwere Formen sexueller Gewalt
Bezüglich der Geiseln ist von klaren Belegen für schwere Formen sexueller Gewalt und Folter gegen Frauen und Kinder die Rede: »Das Team hat eindeutige und überzeugende Informationen darüber erhalten, dass einigen Frauen und Kindern während ihrer Gefangenschaft sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, sexualisierte Folter und grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung angetan wurde, und hat Grund zu der Annahme, dass diese Gewalt weiterhin andauern könnte.« Der Bericht wurde im Februar veröffentlicht.
»On October 7 you chose antisemitism over feminism« (Am 7. Oktober zogt ihr den Antisemitismus dem Feminismus vor) – mit diesem Spruch begegnen Israelinnen der ausbleibenden Solidarität von feministischer Seite und er bringt die Lage auf den Punkt. Man könnte ergänzen: Die Reaktionen auf den 7. Oktober haben den Antisemitismus – den es in feministischen Zusammenhängen bereits gab – offengelegt.
Die sexuelle Gewalt durch die islamistische Terrororganisation Hamas und ihre Mittäter ist gut dokumentiert. Trotzdem leugnen, relativieren oder legitimieren feministische Gruppen weltweit diese bis heute.
Die sexuelle Gewalt durch die islamistische Terrororganisation Hamas und ihre Mittäter ist gut dokumentiert. Trotzdem leugnen, relativieren oder legitimieren feministische Gruppen weltweit diese bis heute. Die Identifikation mit den Tätern liegt bei Gruppen wie der Alliance of Internationalist Feminists offen zutage.
Doch auch in weiten Teilen der (queer-)feministischen Szene herrschen antisemitische Ideologeme vor, die Empathielosigkeit mit den israelischen Opfern der sexuellen Gewalt nach sich ziehen. Es kommt zur Projektion und Verschiebung: Die werden es schon irgendwie verdient haben. Eine Täter-Opfer-Umkehr, der man eigentlich einmal den Kampf angesagt hatte.