19.12.2024
Antiisraelische Feminist:innen ­ordnen Frauenrechte der postkolonialen Ideologie unter

Feminismus ohne den Faktor Geschlecht

Antiisraelische Feminist:innen ordnen den universalistischen Kampf für Frauenrechte einer postkolonialen Ideologie unter. Statt für die Eman­zi­­pation aller Frauen zu kämpfen, wollen sie vermeintlich kolonial Unter­­­drückte von einem als Unterdrücker identifizierten Westen befreien.

Am 7. Oktober vergewaltigte, verschleppte und ermordete die Hamas Hunderte Frauen aus Israel. Die Islamisten hielten ihre Taten auf Videos fest und verbreiteten diese stolz im Internet. Auch ein Jahr später bleibt die Solidarität feministischer Gruppen und Organisationen mit den Israelinnen aus. Auf der jährlich stattfindenden Demonstration am 25. November anlässlich des Tags zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen sah man in Berlin viele agitierte Männer, Kufiyas und Schilder gegen Israel. Eine Demonstrationsteilnehmerin trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »I love Hamas«. Was macht die palästinensischen Islamisten so attraktiv für die selbsternannten Feministinnen und warum fehlt ihnen das Mitgefühl für Jüdinnen?

*

Am 25. November demonstrierten anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen in Berlin-Kreuzberg einige Hundert Personen unter dem Motto »Resist, by any means necessary« (Widerstand leisten, mit allen erforderlichen Mitteln). Das Thema der Demonstration war dann allerdings ein vermeintlicher Genozid im Gaza-Streifen. Die Demons­trant:in­nen, von denen ein Großteil männlich war, wurden bereits am Kottbusser Tor wegen verbotener terrorverherrlichender Parolen von der Polizei angehalten.

Nach der Demonstration sorgte ein auf Instagram veröffentlichtes Foto für schockierte Reaktionen: Es zeigt eine Demonstrantin mit einem »I love Hamas«-Sticker auf der Brust, über dem »Long Live The Intifada« stand. Der In­stagram-Account von Zeina Idris, auf dem das Foto ursprünglich gepostet wurde, reagierte auf die Kritik an dem Sticker und der Männerquote auf der Demonstration mit einer Stellungnahme: »Das sind die Leute, die in den letzten 14 Monaten jedes einzelne Wochenende gekommen sind. Inzwischen nehme ich das spezifische Thema jeder Demo kaum noch wahr, denn alle Kämpfe sind miteinander verbunden.« Zum Sticker schrieb sie: »Das hat offenbar den üblichen Chor der weißen westlichen Feministinnen verärgert. Für mich geht es in diesem Kampf nicht um Männer oder Frauen – es geht darum, an der Seite der Unterdrückten gegen alle Formen der Unterdrückung zu stehen.« Die Nutzerin wirft ihren Kri­tiker:innen also vor, deren weißer westlicher Feminismus sei blind für die Verknüpfung aller Kämpfe, vor allem aber den Kampf gegen eine »israelische Besatzung«.

Den Vorwurf des weißen Feminismus erheben sogenannte propalästinensische Aktivist:innen häufig gegen all jene Feminist:innen, die sie als Feinde markieren wollen.

Den Vorwurf des weißen Feminismus erheben sogenannte propalästinensische Aktivist:innen häufig gegen all jene Feminist:innen, die sie als Feinde markieren wollen, weil diese sich nicht bedingungslos mit der »palästinensischen Sache« solidarisieren würden. So gilt ihnen beispielsweise Taylor Swift als weiße Feministin, weil sie sich nicht zu der Lage im Gaza-Streifen äußert. Dass sich eben jene »propalästinensischen« Feminist:innen selbst keineswegs für die Anliegen aller Frauen interessieren, wird spätestens dann offenbar, wenn sie die sexuelle Gewalt der Hamas gegenüber den israelischen und jüdischen Frauen am 7. Oktober leugnen oder gar begrüßen.

Die Taz-Kolumnistin Sibel Schick schreibt in ihrem 2023 erschienenen Buch »Weißen Feminismus canceln«, dieser betrachte »Diskriminierung nur auf Grundlage des Geschlechts. Für den weißen Feminismus sind Rassismus, Antisemitismus, Armut, Behinderung, chronische Krankheit etc. irrelevant.« Die pakistanisch-US-amerikanische Anwältin und Autorin Rafia Zakaria, die als Journalistin unter anderem für al-Jazeera tätig ist, schreibt in ihrem 2021 veröffentlichten Buch »Against White Feminism«: »In dem rein auf Gender basierenden Narrativ, das den Mainstream-Feminismus beherrscht, werden alle Frauen gegen alle Männer ausgespielt, gegen deren Widerstand sie Gleichberechtigung anstreben.«

Am weißen Feminismus, häufig auch imperial feminism genannt, wird die Vernachlässigung von anderen Diskriminierungsformen kritisiert. Weiße Feminist:innen, so die Kritik, seien sich ihrer Privilegien nicht bewusst und ­interessierten sich nur für eine Gleichstellung mit Männern.

Empörung über geschlechtsbasierte Gewalt bleibt selektiv

Dem könnte man entgegenhalten, dass jene Feminist:innen, die unter anderem die Misogynie, LGBT-Feindlichkeit und den Antisemitismus der ­Hamas und ihrer Sympathisant:innen ignorieren, ihre intersektionalen Prinzipien verraten. Der Vorwurf fehlender Solidarität, den sie gegen weiße Fe­mi­nist:innen erheben, fällt auf sie selbst zurück, wenn ihre Empörung über geschlechtsbasierte Gewalt selektiv bleibt und nur Frauen im Gaza-Streifen Opfer und Israelis, Juden hingegen nur Täter sein dürfen.

Man kennt das bereits vom Vorwurf des Homonationalismus oder auch des pinkwashing gegen Israel, den Jasbir Puar lanciert hat: Antiisraelische Feminist:innen instrumentalisieren den Feminismus, um Israel zu dämonisieren. Ein Beispiel ist ein Beitrag der X-Nutzerin »Ash«, die das rote Dreieck der Hamas in ­ihren Namen integriert hat: »Wer tötet die meisten Frauen? Hört auf zu purplewashen, wie Israel systematisch Frauen ­umbringt.« Die Farbe Lila wird spätestens seit den feministischen Protesten in Lateinamerika ab 2018 mit Feminismus in Verbindung gebracht.

Frauenrechte in Israel werden so als Täu­schungs­versuch gewertet und als purple­washing denunziert. Der einzige Bezugspunkt für diesen antiisraelischen Feminismus sind dabei weibliche Opfer israelischer Militärschläge. Die Frauenfeindlichkeit der radikalislamistischen Hamas und die patriarchale Gesellschaft im Gaza-Streifen werden ausgeklammert.

Der antiisraelische Feminismus ist keiner

Auch streicht dieser Feminismus den zentralen Faktor Geschlecht aus seiner Analyse heraus: Die Emanzipation aller Frauen von einer patriarchalen Geschlechterordnung wird ersetzt durch die Phantasie der Befreiung bestimmter Menschen von kolonialen oder westlichen Einflüssen. Es wird nur noch der Widerspruch zwischen dem unterdrückerischen Westen und dem unterdrückten Rest der Welt anerkannt.

Eine feministische Kritik an Missständen in nichtwestlichen Gesellschaften, wie sie etwa die »Frau, Leben, Freiheit«-Bewegung im Iran vorangetrieben hat, wird durch diese Konstruktion unmöglich. Der antiisraelische Feminismus ist somit keiner. Er richtet sich nicht einmal gegen Diskriminierung, sondern verharrt in einem Partikularismus, der zu keinerlei Vermittlung mit dem Universalismus fähig ist. Das Partikulare hier ist die Vorstellung eines kolonisierten weiblichen Körpers, der nicht von einer patriarchalen, sondern von einer vermeintlich westlichen Unterdrückung befreit werden müsse.

Der antiisraelische Feminismus erkennt universale feministische Werte nicht an, die auf eine Gleichberechtigung aller Frauen und Beseitigung jeglicher Benachteiligung gegenüber Männern zielen. Der von Zakaria und Idris kritisierte Fokus auf dem Anta­gonismus zwischen Mann und Frau hat die hierarchische Geschlechterordnung, die in verschiedenen Ausprägungen weltweit besteht, zur Grundlage und ist deswegen notwendigerweise der Ausgangspunkt feministischer Kritik. Dieser universalistische Anspruch wird von seinen Kritiker:innen als westoxification, also westliche imperialistische Idee zurückgewiesen.

Verklärung islamistischer Terrorgruppen als Chance für Frauenemanzipation

Ein Beispiel dafür ist Maria Holt, Politologin mit Schwerpunkt auf dem Nahen Osten und Nordafrika. Sie verklärt in einem Artikel im Jahr 2020 islamistische Terrorgruppen als Chance für eine Frauenemanzipation in der Region, indem sie behauptet: »Sowohl die Hamas als auch die Hisbollah erlauben und fördern die Beteiligung von Frauen, was die Vorstellung vom islamischen Widerstand als einer Form der Emanzipation unterstützt.« An anderer Stelle bezeichnet sie den Islam als »Werkzeug des Widerstands« für paläs­tinensische Frauen und moniert: »Die Debatte im Westen über »Islam und gewaltsame Konflikte« stellt muslimische Frauen weiterhin hauptsächlich als Opfer und Männer als barbarisch und unterdrückerisch dar.«

Oft wird in diesen Kreisen die Idee der Menschenrechte als westlicher Einfluss zurückgewiesen. Das Kohl Journal for Body and Gender Research ist eine akademische Zeitschrift, die von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert wird und sich vorstellt als eine »fortschrittliche, feministische Publikation, die sich auf Gender und Sexualität im Nahen Osten, Südwestasien und Nordafrika konzentriert«, und das Ziel hat, »die vorherrschenden Narrative zu hinterfragen und unabhängiges Wissen von jungen Akademikern, Aktivisten und unabhängigen Schriftstellern zu fördern«. Dieses Magazin schrieb am 16. Oktober 2023 auf X: »Die Feminismen der weißen Körper sind eine Form von Feminismus, die sich auf einen sogenannten ›Men­schen­rechts‹-Rahmen beziehen, der von den kolonialen Mächten kreiert wurde«, und spricht sich für jegliche Form des »Widerstands« gegen Israel aus: »Der palästinensische Widerstand in all seinen Formen stellt eine legitime Praxis dar, um einem unbarmherzigen kolonialen System entgegenzutreten, das seit Jahrzehnten das Leben von Millionen missbraucht und verwehrt.«

Es offenbart sich so die auch andernorts anklingende Faszination für die Brutalität der Hamas und ihrer Anhänger. Derartige Realitätsverweigerung und Irrationalität der antiisraelischen Feminist:innen lässt sich vielleicht am ehesten damit erklären, dass sie ihrer ­eigenen Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen zu entfliehen versuchen, indem sie sich in den Kollektivwahn ihrer Bewegungsgemeinschaft integrieren. Die aggressive Männlichkeit der Demonstranten gegen Israel könnte ihren Apologetinnen Stärke gegen etwas Unterdrückerisches und Handlungsmacht suggerieren, nach der sie sich selbst sehnen. Dieser regressive Aktionismus und »Mangel an Selbstbesinnung« (Adorno) führen zur Abkehr von einem universalistischen Feminismus. Die auf solchen Demonstrationen beliebte Formel »Es gibt keine Frauenbefreiung ohne die Befreiung Palästinas« zeugt von einer antisemitischen Erlösungsphantasie, die gleichzeitig auch die Aufgabe jedes ­feministischen Anspruchs beinhaltet. Diese Demonstrant:innen sind daher nicht gegen einen weißen Feminismus, sondern gegen Feminismus überhaupt.