12.12.2024
Wie Wissenschaftler das Phänomen Ohrwurm erforschten

Bitte mal weghören

Dass gerade Weihnachtslieder sich so penetrant im auditiven Cortex des Hirns einnisten, ist kein Zufall: Wissenschaftler haben festgestellt, dass es zumeist vertraute Musikstücke mit simpel gestrickter Melodie sind, die uns stunden- oder sogar tagelang verfolgen.

Egal ob man Weihnachten in erster Linie als Zeit voller Stress, Konsumterror und verlogener Gefühligkeit empfindet oder sich ganz dem Kitsch hingibt: Einig dürften sich die meisten darin sein, dass die Ohrwurmgefahr in dieser Jahreszeit dramatisch steigt.

Einmal kurz am Weihnachtsmarkt vorbeigegangen, im falschen Moment im Supermarkt gewesen oder unvorsichtigerweise das Radio eingeschaltet – und schon läuft im Kopf eine Dauerschleife mit »Alle Jahre wieder« oder jenem gefürchteten Song über den treulosen Lars Christmas, dem George Michael einst sein Herz schenkte.

Stockhausen-Werke schaffen es wohl nicht einmal bei den größten Fans des experimentierfreudigen Komponisten zum Ohrwurm.

Dass gerade Weihnachtslieder sich so penetrant im auditiven Cortex des Hirns einnisten, ist kein Zufall: Captain Obvious, pardon, Wissenschaftler haben festgestellt, dass es zumeist vertraute Musikstücke mit simpel gestrickter Melodie sind, die uns stunden- oder sogar tagelang verfolgen. Stockhausen-Werke hingegen schaffen es wohl nicht einmal bei den größten Fans des experimentierfreudigen Komponisten zum Ohrwurm.

Neben Menschen mit musikalischem Hintergrund und solchen mit großer Offenheit für neue Erfahrungen sind laut dem »Health Blog« der Harvard Medical School bestimmte Charaktertypen besonders empfänglich für »O Tannenbaum«, »Jingle Bells« oder den saisonunabhängigen Rickroll: Demnach neigen insbesondere Personen mit zwanghafter oder neurotischer Persönlichkeit zur mentalen Wiederholungsschleife. »Neurotisch« bedeutet im psychologischen Jargon übrigens nicht notwendigerweise behandlungsbedürftig, sondern beschreibt eine Kombination aus Merkmalen wie Ängstlichkeit, Gehemmtheit und Empfindlichkeit.

Wenn Lady Gaga oder Rolf Zuckowski die Hirnwindungen in Beschlag nehmen

Tatsächlich können Ohrwürmer aber auch eine pathologische Ursache haben, von Migräne über psychische Erkrankungen bis hin zu Schlaganfällen oder Hirntumoren. In den allermeisten Fällen gibt es zwar keinen Grund zu Besorgnis; wenn das Gedudel im Kopf länger als 24 Stunden anhält oder andere Symptome hinzukommen, sollte man die Sache aber vielleicht doch medizinisch abklären lassen.

Normalerweise sind Ohrwürmer jedoch in erster Linie eines, nämlich lästig. Was also tun, wenn Lady Gaga (die in einer Studie zur Hitparade des Kopf­radios gleich drei Top-Ten-Plätze belegte) oder Rolf Zuckowski die Hirnwindungen in Beschlag nehmen? Helfen können Ablenkung, Konter-Ohrwürmer oder auch, das nervende Stück einmal komplett durchzuhören; im Jahr 2015 fand eine britische Arbeitsgruppe außerdem heraus, dass Kaugummikauen ein probates Gegenmittel ist.

Vor allem aber solle man nicht dagegen ankämpfen, raten die Harvard-Forschenden, weil sich der Song dadurch erst recht festsetzen könne, sondern ihn lieber »passiv akzeptieren«. In der Hochsaison der schlimmen Musik bleibt einem auch kaum etwas anderes übrig. Süßer die Ohren nie klingeln.