21.11.2024
Eine Petition fordert die Rückgabe der Nofretete-Büste nach Ägypten

Nofretete und der Volksgeist

Seit 1924 kann man die berühmte Nofretete-Büste in Berlin bewundern. Doch nun fordert sie der Leiter der ägyptischen Antikenbehörde zurück – mit guten und mit schlechten Argumenten.

Pünktlich zum 100. Jahrestag der Erstausstellung der Nofretete-Büste in Berlin fordert eine Petition ihre Rückgabe nach Ägypten. Aufgesetzt hat sie der ehemalige Generalsekretär der ägyptischen Antikenbehörde, Zahi Hawass. Es ist nicht das erste Mal, dass er ihre Rückgabe anmahnt. Ein offizielles Gesuch hat er indes in seiner Funktion als Leiter der Antikenbehörde nie gestellt. Denn die Büste steht vom juristischen Standpunkt aus wohl rechtmäßig in Berlin, das Gegenteil zu beweisen, wäre schwierig.

Anfang des 20. Jahrhunderts stand den deutschen Archäologen, die im ägyptischen Tell al-Amarna gruben, die Hälfte der Funde zu, die andere ging ans Ägyptische Museum in Kairo. Besonders fair war das nicht gerade, es galt das Recht der britischen Kolonialmacht. Der Sultan im Osmanischen Reich – zu dem Ägypten bis 1798 gehört hatte – genehmigte Ausgräbern beispielsweise nur ein Drittel des Fundes. Zudem geht wohl aus Briefen hervor, dass Ludwig Borchardt, der die Nofretete 1912 fand, den enormen Wert der Büste gegenüber dem jungen Inspektor der ägyptischen Antikenbehörde verschleierte. Der hieß Gustave Lefebvre und war Franzose.

Dass über den Verbleib der Nofretete ein Deutscher mit einem Franzosen nach britischem Recht verhandelt hat, ist pikant und macht den Vorwurf des kolonialen Unrechts plausibel. Richtig ist aber auch, dass Ägyptologie und überhaupt Altertumsforschung zu diesem Zeitpunkt eine fast rein europäische Leidenschaft war.

Wenn Kulturgüter zum Geist eines Volkes und gar zu seinem »Sein« gehörend erklärt werden, sollte man hellhörig werden. Bei der Nofretete-Büste werden diese Sätze gänzlich unsinnig.

Gleichwohl mahnt der Ägyptologe Zahi Hawass in seiner Petition mehrfach, die Büste sei unrechtmäßig in Berlin. Er begründet das mit dem Verweis auf entsprechende Unesco-Übereinkommen. Die Unesco forderte schon 1978 die »Rückgabe des unersetzlichen Kulturerbes an diejenigen, die es erschaffen haben«. Das klingt einleuchtend im Sinne eines Urheberrechts. Doch das greift nicht bei einer Büste aus dem 14. Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung.

Der damalige Unesco-Generalsekretär Amadou-Mahtar M’Bow erläuterte damals: »Der Geist eines Volkes findet eine seiner edelsten Inkarnationen im kulturellen Erbe, das im Laufe der Jahrhunderte von seinen Architekten, Bildhauern und Malern geschaffen wurde.« Und weiter: »Männer und Frauen dieser Länder haben das Recht, die Kulturgüter wiederzuerlangen, die zu ihrem Sein gehören.«

Wenn Kulturgüter zum »Geist eines Volkes« und gar zu seinem »Sein« gehörend erklärt werden, sollte man immer hellhörig werden. Bei der Nofretete-Büste werden diese Sätze gänzlich unsinnig. Denn schließlich sind die Ägypterinnen und Ägypter gut 2.200 Jahre ohne sie ausgekommen. Der nachfolgende Pharao ließ die meisten Statuen der Königin Nofretete und ihres Mannes Echnaton nach deren Ableben zerstören, nur wenige verschwanden damals im Wüstensand. Erst die europäischen Ägyptologen gruben sie wieder aus.

Kein Mangel an Pyramiden, Statuen und Mumien in Ägypten 

Ein anderes Argument Hawass’ scheint bedenkenswerter. »Diese Geschichte sollte aus ihrem Ursprungsland erzählt werden«, heißt es in der Petition, die inzwischen über 40.000 Menschen unterzeichnet haben. Es ist durchaus sinnvoll, sich mittelalterliche Burgen in Europa anzusehen und Pyramiden in Ägypten – wäre es umgekehrt, ginge mit dem falschen Ambiente auch Geschichtsverständnis verloren.

Allerdings gibt es in Ägypten keinen Mangel an Pyramiden, Tempeln, Statuen, Gräbern und Mumien. Man kann wochenlang durchs Land reisen und immer noch mehr davon besich­tigen. Das alte Ägyptische Museum im Zentrum Kairos war lange Zeit übervoll mit Exponaten, darunter auch einige Abbildungen Nofretetes. Unzählige Stücke stauten sich in Keller und Lagern.

Dem ist mittlerweile abgeholfen: Präsident Abd al-Fattah al-Sisi hat bei den Pyramiden am Rande Kairos ein neues Ägyptisches Museum bauen lassen. Mit 81.000 Quadratmetern ist das Grand Egyptian Museum eines der größten Museen der Welt. Der Pariser Louvre kommt nur auf 60.000 Quadratmeter. Noch sind erst einige Säle ­eröffnet, aber bald soll man dort solch atemberaubende Exponate wie die Grabbeigaben des Pharaos Tutanchamun bestaunen können.

Zweifellos: Die Berliner Nofretete ist schön. Aber all ihre Schönheit wird kaum bezirzen zwischen den Massen an Pracht, die das Ägyptische Museum über hundert Jahre gesammelt hat.

Den Eintritt können sich die meisten Ägypter:innen nicht leisten

Die allermeisten Ägypterinnen und Ägyptern würden die Nofretete sowieso nicht sehen können, wenn sie nach Ägypten käme. Das Grand Egyptian Museum, in dem Hawass sie gern hätte, erreicht man nur mit dem Auto, der Eintritt kostet für Ägypter umgerechnet acht Euro (für Ausländer 22 Euro). Bei einem Durchschnittsstundenlohn von zwei Euro leisten sich das nur Wohlhabende.

Für die ägyptische Mittelschicht hat Sisi einen Ersatz geschaffen: das Nationalmuseum für ägyptische Zivilisation. Nur wenige, eher unbedeutende Artefakte sind dort in leicht verdaulichem Event-Ambiente ausgestellt. Der Eintritt kostet umgerechnet 1,50 Euro. Das funktioniert: Viele Familien drängen sich um die Schaukästen.

­Einen Kasten zur Amarna-Periode, in der Echnaton mit Nofretete regierte, sucht man allerdings vergeblich. Es scheint ganz so, als ­betrachte der ägyptische Staat Nofretete als eher unwichtig für »Geist« und »Sein« seiner Bürger.