Dialog und Baseballschläger
Montagabend, ein großer Parkplatz am Rand der Innenstadt von Gera. Ein Mann mittleren Alters steht auf einer Bühne, er erzählt etwas von der Liebe als »Triebfeder allen Lebens«. Etwa 150 Menschen hören ihm zu. Die meisten sind im mittleren Alter, ein paar sportliche junge Männer mit Gesichtstattoos sind aber auch dabei.
Der Mann, der an jenem Montag voriger Woche so esoterisch von der Bühne säuselte, heißt Thorsten Heise, ist stellvertretender Vorsitzender der Nazi-Partei »Die Heimat« (früher NPD) und seit langem eine zentrale Figur des deutschen Neonazismus; bekannt etwa als Organisator der »Schild und Schwert«-Festivals und Herausgeber der Zeitschrift Volk in Bewegung & Der Reichsbote.
Gera ist mit 95.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt in Thüringen. Seit mehreren Jahren finden hier fast jede Woche rechtsextreme Montagsdemos statt – organisiert von Christian Klar, einem seit langem aktiven Neonazi.
Die Stadtverwaltung beklagte auf Anfrage des MDR, die Montagsdemonstrationen seien für Gera ein großer Imageschaden und ein Problem für die Außenwirkung der Stadt. Lösen wolle man dies vor allem durch Dialog. Die Stadt plane deshalb einen Termin mit allen Beteiligten, sagte eine Pressesprecherin dem MDR Anfang Oktober.
Ein Redner auf einer der rechtsextremen Montagsdemonstrationen kündigte in Gera »Sicherheitsspaziergänge« mit Baseballschlägern an.
Auf Anfrage der Jungle World, ob die Stadt auch versuche, mit dem Neonazi Christian Klar in Dialog zu treten, antwortete eine Sprecherin, man habe »explizit nicht davon gesprochen, dass der Dialog mit Christian Klar gesucht wird«. Man wolle lediglich »mit Partnern und Vertretern aus Politik unabhängig von der parteipolitischen Farbe ins Gespräch kommen«. Auf die Nachfrage, ob die Teilnahme von Christian Klar an diesem Dialog vorgesehen ist, gab es keine Antwort mehr.
Zu Spitzenzeiten – beispielsweise am 3. Oktober 2022 – nahmen 10.000 Menschen an der rechtsextremen Montagsdemonstration in Gera teil. »Egal ob Massenmigration, Klimawandel, Corona, Impfung oder Ukraine-Krieg: Alles dient einem großen Plan«, rief Christian Klar damals von der Bühne. »In den feuchten Träumen der Globalisten, der Kabalen, sind wir alle das untere Ende der Nahrungskette.« Der Regierung sei »jedes Mittel recht, um uns gefügig zu machen«. Auch die SA-Parole »Alles für Deutschland« verwendete Klar in seiner Rede; bereits in den neunziger Jahren nahm er an Demonstrationen des »Thüringer Heimatschutzes« teil, aus dem später der NSU hervorging.
Regelmäßiger Gegenprotest
Zu Beginn der Covid-19-Pandemie begannen in zahlreichen Städten regelmäßige Montagsdemonstrationen. Die politische Ausrichtung variierte von Ort zu Ort – mal hatten eher »Querdenker« das Sagen, mal ganz unverblümt organisierte Neonazis. Nach der russischen Invasion der Ukraine 2022 bekamen die Montagsdemonstrationen erneut Aufschwung, auch in vielen kleineren Orten. Nicht nur im klassischen Sinn Rechtsextreme liefen dabei mit, vielerorts waren Friedensfahnen zu sehen.
Die Hochphase der Montagsdemonstrationen ist inzwischen vorbei, auch in Gera. Doch immer noch finden sich dort fast jede Woche über hundert Teilnehmer:innen zusammen. Seit einigen Wochen gibt es außerdem regelmäßigen Gegenprotest. Organisiert wird er vom Aktionsbündnis Gera gegen rechts. So auch am Montag vergangener Woche, als die Gegendemonstration laute Zirkusmusik abspielte, während die Rechtsextremen vorbeiliefen. Das ist nicht selbstverständlich – die meisten dieser Demonstrationen werden wie in Wittenberg etwa oder in Halle nicht als Problem empfunden, von organisiertem öffentlichen Gegenprotest kann keine Rede sein.
Die Behörden in Gera scheinen den Montagsdemos zumindest keine Steine in den Weg zu legen. Die örtliche SPD kritisierte im vergangenen Monat in einer Pressemitteilung den parteilosen Oberbürgermeister Kurt Dannenberg: Die Versammlungsbehörde würde »kaum oder keine Auflagen bei rechtsextremen Versammlungen erlassen«. Die Demonstrationen fänden meistens unangemeldet statt, »zuletzt mit nicht genehmigtem Feuerwerk«. Hinzu komme, dass »Herr Dannenberg nicht bereit ist, etwas gegen den Missbrauch des Stadtwappens zu unternehmen« – das wirke »wie eine Kapitulation«. Eine Sprecherin der Stadt hatte zuvor dem MDR gesagt, es sei nicht möglich, strengere Auflagen zu erteilen, denn es spiele sich alles im rechtlich zulässigen Rahmen ab.
Laxer Umgang der Stadt mit den Demonstrationen
Antifaschist:innen aus Gera beklagen im Gespräch mit der Jungle World diesen laxen Umgang der Stadt mit den Demonstrationen: »Unser Eindruck ist, dass der Stadt nur daran gelegen ist, die Situation unter den Teppich zu kehren, damit ihr Image keinen Schaden nimmt. Das rechte Milieu scheint durch diesen Umgang eher stärker zu werden.«
Das Ordnungsamt, das Auflagen erlassen könnte, scheint bei den Demonstrationen oft gar nicht anwesend zu sein. So zum Beispiel bei einem Vorfall vom Frühjahr, von dem der MDR berichtete. Die Montagsdemo sei damals auf einen Gegenprotest vor einer evangelischen Kirche unter dem Motto »Herz statt Hetze« zugesteuert. Die Polizei schützte die Gruppe vor der Kirche, doch sei sie von den Montagsdemonstrant:innen angepöbelt worden, insbesondere von Christian Klar, der sie minutenlang durch den Lautsprecher beschimpfte. Nach einer Tirade über angebliche Gewalttaten durch Migrant:innen gipfelte Klars Rede in dem Satz: »Wenn ihr Kinder habt, seid ihr die, die es verdient haben, dass es eure Kinder erwischt.«
Für Klars Verhältnisse war das noch eine gemäßigte Äußerung. Bei einer Demonstration Anfang Oktober zum Tag der Deutschen Einheit, zu der auch »Die Heimat« und die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen aufriefen, bezeichnete er Gegendemonstrant:innen als »Viehzeug«, das man im kommenden Jahr »mit Monstertrucks« überfahren werde. Beim Sommerfest der Zeitung der Partei »Die Heimat«, der Deutschen Stimme, auf dem Klar als Redner angekündigt war, äußerte er gegenüber einem Journalisten, dass bald der Tag komme, »da hängen solche wie du an der Laterne hier vorne«.
Bewaffnete Bürgerwehr geplant
Am Montag voriger Woche war der Chefredakteur der Deutschen Stimme, Peter Schreiber, bei der Demonstration in Gera zu Gast. Er hielt direkt vor Heises pathetischem Bekenntnis zur Liebe eine Rede. Im Kontrast dazu sprach Schreiber vom »Hass«, den aber natürlich nur die Ausländer nach Deutschland brächten, »nicht die Patrioten. Wir wollen den Hass abschieben.«
Nun planen die Organisatoren der Montagsdemos angeblich sogar eine »bewaffnete Bürgerwehr«; das meldete Anfang des Monats der Focus. Das Magazin berichtete von einem Redebeitrag auf einer Demonstration, in dem »Sicherheitsspaziergänge« mit Baseballschlägern angekündigt wurden. Die Antifaschist:innen aus Gera sagten der Jungle World, sie hätten bisher nur in wenigen Fällen »eine größere Gruppe mit Hunden« auf der Straße beobachtet. »Allerdings waren dort auch Personen mit einschlägiger Vergangenheit im gewalttätigen Neonazimilieu dabei.«
Bei der Demonstration am Montag vergangener Woche waren neben schwarz-weiß-roten Reichsfahnen mit stilisiertem NS-Reichsadler und einer Flagge der Partei »Die Heimat« auch eine AfD-Fahne zu sehen. Das unterstreicht die Funktion solcher Demonstrationen: Sie verbinden verschiedene rechtsextreme Milieus. Der Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes, Stefan Kramer, sagte dazu im Interview mit dem ARD-Magazin »Kontraste«: »Das sieht man gerade auch in Gera, dass zum Beispiel Reichsbürger, klassische Rechtsextremisten, aber auch Hooligans beziehungsweise sogar die parlamentarischen Vertreter der Neuen Rechten gemeinsam auftreten.«
»Protestunternehmer« Christian Klar
Mittendrin Christian Klar, den die örtlichen Antifaschist:innen als »Protestunternehmer« bezeichnen. »Bei der Reichsbürgerveranstaltung ›Treffen der Bundesstaaten‹ im Frühjahr hatte Klar auch das Catering gemacht. Und bei ihm zu Hause treten auch mal Leute wie Frank Rennicke auf«, ein bekannter Nazi-Liedermacher.
In Gera sucht man unterdessen weiter den Dialog. Anfang November trat der ehemalige SPD-Politiker Christian-Peter Urban bei der Montagsdemonstration auf. Urban war bei den Landtagswahlen im September erfolglos als SPD-Direktkandidat in Gera angetreten. Er stellte sich als früheren Anmelder der Gegenkundgebung vor, der sich jetzt entschieden habe, mit der anderen Seite ins Gespräch zu kommen. Vor eineinhalb Wochen habe er sich »mit dem Christian« zum Gespräch getroffen. Seitdem sei sein Leben »mehr oder weniger in Brüchen«. Sein »eigenes Aktionsbündnis« wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er sei kurz darauf aus der SPD ausgetreten.
Er sei gegen »Hass und Hetze, egal von welcher Seite«. Den Demonstrant:innen warf er vor, dass sie den Eindruck erweckten, sie würden Andersdenkenden Gewalt wünschen. Er selbst habe nichts gegen »fremde Menschen, die in dieses Land kommen«, sie müssten sich nur »an unsere Werte halten«.
Eine Interviewanfrage lehnte Urban ab. In einem Schreiben an den SPD-Ortsverband, das der Jungle World vorliegt, verteidigte er sein Vorgehen. Er habe das Gespräch mit Klar gesucht, um zu deeskalieren, weil er »bürgerkriegsähnliche Zustände« in Gera befürchte. Gegenüber Klar habe er betont, »dass die Bürger unserer Stadt verunsichert sind, Angst haben und den Ruf ihrer Stadt gefährdet sehen«.