So hip und poly
Es gab eine Zeit, da gehörte es zum guten Ton, poly zu sein. Es gehörte einfach irgendwie dazu, auch für mich und meine Freunde. Uns machte das nichts aus, im Gegenteil. Man fand es fast ein bisschen chic und kokettierte auch ab und zu damit. »Und? Wie viele hast du?« fragte man sich gegenseitig auf Partys oder beim Abendessen.
Die Rede ist natürlich von Jobs. Wir arbeiteten in mehreren Jobs gleichzeitig und waren somit etwas, das man heutzutage mit dem Begriff polyworkers beschreibt. Nicht dass uns ansonsten langweilig geworden wäre. Es war schlichtweg notwendig, um über die Runden zu kommen. Seinerzeit zählte man sich allerdings noch zu den working poor, hatte also keinen schicken Namen fürs Elend.
Ökonomisch missliche Lage, hippes Image
Neben den Schichten in der Redaktion schenkte man in Bars aus, arbeitete in Agenturen oder an Universitäten und schrieb ab und an für andere Zeitungen. Der Begriff polywork war damals noch nicht geläufig; er hat der ökonomisch misslichen Lage plötzlich ein ganz neues, hippes Image verschafft.
Im Wirtschaftsmagazin Forbes erklärte man kürzlich sogar, die Menschen würden verschiedenen Tätigkeiten auf einmal nachgehen, um mehr Flexibilität zu erlangen, persönliche Erfüllung zu finden und das Risiko eines Burn-out durch monotone Routinen zu verringern. Insbesondere gestressten Manager:innen böte das eine willkommene Abwechslung.
Das klingt gerade so, als sei der Kampf ums Überleben im Kapitalismus in Wirklichkeit ein cooles Workout für das richtige Mindset. Dabei ist es besonders perfide, dass der arbeitende Mensch nun zur Entspannung das jeweilige Hamsterrad der Lohnarbeit nicht mehr verlassen soll. Er muss nur noch zu einem anderen wechseln.
In einer digitalisierten Arbeitswelt verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Polyworking läuft darauf hinaus, dass man nie abschalten kann und sich von Projekt zu Projekt hetzt.
Dabei zwingt polyworking insbesondere Leute aus Branchen mit niedrigen Löhnen oder instabilen Arbeitsverhältnissen dazu, ständig verfügbar zu bleiben, ohne je finanziell abgesichert zu sein. Das kommt besonders häufig in der sogenannten Gig-Economy vor, wo Leute oft sehr kleinteilige Aufträge als Freelancer abarbeiten und pro Auftrag bezahlt werden. Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung, Rentenansprüche oder bezahlter Urlaub – das alles gibt es hier nicht.
Zudem verschwimmen in einer digitalisierten Arbeitswelt zusehends die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Polyworking läuft also darauf hinaus, dass man nie abschalten kann und sich von Projekt zu Projekt hetzt, um über die Runden zu kommen.
Dabei ist es ja im Grunde keine schlechte Idee, einen Ausgleich zu schaffen, um ein wenig Distanz zur eigenen Lohnarbeit zu bekommen. Deswegen gibt es ja Hobbys. Aber ob man gleich eine Ausbildung zum »Somatic Yoga Teacher« machen muss, wie es einem die Werbeseiten antragen, sobald man einen Yogakurs über das Internet gebucht hat? Da müssen Langeweile bei den Gutbezahlten oder Not bei den Schlechtbezahlten schon sehr groß sein.