Die Redaktion wünscht happy Halloween!

Homestory #44/24

Anlässlich von Halloween macht sich die »Jungle World« Gedanken über den politischen Gehalt des festlichen Vermummens und gibt Tipps für besonders gruselige Verkleidungen.

Eigentlich hätte auch Halloween das Zeug dazu, ähnlich wie der Hexen­mythos für allerlei regressive Projektionen herzuhalten. Das »alte heidnische Totenfest mit einer dünnen christlichen Hülle«, wie es der Religionsethnologe James Frazer schon vor knapp 100 Jahren beschrieb, kann schließlich ebenfalls mit reichlich Hokuspokus aufwarten.

Doch sind uns keine neueren Versuche bekannt, Halloween für irgendwelche religiös-kulturellen Praktiken zu reclaimen oder es mit politischer Bedeutung aufzuladen. Sein Image hat vielmehr mit Kommerz und Kostümpartys zu tun, und seine Verbreitung scheint eher ein Gradmesser für kulturelle Amerikanisierung und die Beliebtheit von Hollywood-Filmen zu sein als für Neopaganismus. In Deutschland waren es jahrelang vor allem die Verfechter heimischer und »echter« Bräuche wie des Sankt-Martins-Fests, die ein Problem mit Halloween hatten, auch wenn wenige so weit gehen würden wie der Fatwa-Rat von Malaysia, der vor einigen Jahren Halloween für Muslime als nicht vereinbar mit der Sharia gleich ganz verbot.

Der spanische Diktator Francisco Franco verbot 1937 den Karneval gleich für Jahrzehnte.

Auch in Saudi-Arabien war Halloween lange Zeit strikt untersagt, erst mit der vom Regime verordneten gesellschaftlichen Modernisierung hielten in den vergangenen Jahren nicht nur mehr Rechte für Frauen in das arabische Königreich Einzug, sondern auch gruselige Kostümpartys – für einige bärtige Frömmler in Riad dürften Frauen in Hexenkostümen tatsächlich ein furchteinflößender Anblick gewesen sein.

Auch in Russland ist Halloween fast schon wieder subversiv, erzählt eine Kollegin aus Moskau. Sie habe vor einigen Tagen einen jungen Barista lamentieren gehört, wie tragisch er es finde, dass Halloween immer mehr als »amerikanisches Fest« verpönt und vielerorts de facto verboten sei. Vor allem in Schulen sei Halloween weitestgehend abgeschafft, berichtet sie, gilt doch in Putins Russland fast schon alles Nichtkirchliche als Gefahr für die kindliche Seele. In einem an die Zeit des Kalten Kriegs erinnernden Akt der kulturellen »Importsubstitution«, wie es eine andere russische Journalistin spöttisch ausdrückte, bewerben Staatsvertreter vielerorts stattdessen einen echt slawischen Ersatzfeiertag.

»Queers for Palestine – das Gruseligste, was ich mir vorstellen kann«

In Shanghai ging in diesem Jahr erneut die Polizei gegen zahlreiche Personen in Halloween-Kostümen vor und nahm mehrere fest – denn vor einem Jahr hatten viele Bürger der chinesischen Megametropole die Chance genutzt, um mit ihren Kostümen unter anderem die repressive Regierungspolitik während der Covid-19-Pandemie zu verspotten. Das erinnert an den spanischen Diktator Francisco Franco, der im spanischen Bürgerkrieg 1937 den Karneval gleich auf Jahrzehnte hin verbot.

Solch ein subversives Potential hat Halloween hierzulande sicher nicht, aber trotzdem finden viele in der Redaktion es sympathisch. »Cooler als Fasching. Es wird einem jedenfalls nicht so aufgedrückt«, meint ein Kollege. Wenn er eine Idee habe, verkleide er sich sogar. »Letztes Jahr war ich Montagsspaziergänger, dieses Jahr werde ich als Mitglied von Queers for Palestine gehen. Das Gruseligste, was ich mir derzeit vorstellen kann.«