20.12.2012
Tuvia Tenenboms Buch »Allein unter Deutschen«

Doch nicht so lustig

Für sein Buch »Allein unter Deutschen« reiste der New Yorker Journalist Tuvia Tenenbom durch Deutschland und war entsetzt vom Antisemitismus.

Es hätte alles so schön werden können: Sechs Monate lang durfte der Journalist und Gründer des Jewish Theater of New York, Tuvia Tenenbom, im Jahr 2010 durch Deutschland reisen, in den besten Hotels absteigen, mit interessanten Menschen sprechen. Als Gegenleistung sollte Tenenbom seine Erlebnisse für den Rowohlt-Verlag in einem Reisebericht verarbeiten. Der war für 2011 fest als Bestseller eingeplant, aber dann kam alles ganz anders. Zum großen Thema des Buches wurde das erschreckende Ausmaß des Antisemitismus in Deutschland, es gab einen heftigen Konflikt zwischen Tenenbom und dem Rowohlt-Verlag – und erst jetzt erscheint das Buch unter dem Titel »Allein unter Deutschen«, allerdings bei Suhrkamp. »Als ich mit dem Projekt begann, dachte ich, das Ganze wird so etwas wie eine Sammlung eher harmloser, lustiger Geschichten«, erzählt der 55jährige Tenenbom beim Gespräch im Berliner Hotel Adlon. »Ich war vorher schon ein paar Mal in Deutschland und habe die Deutschen nie für Antisemiten gehalten. Wenn mir Freunde in New York damit kamen, sagte ich immer: Ihr könnt die Kinder und Enkelkinder nicht für die Verbrechen ihrer Eltern und Großeltern verantwortlich machen.«
Tenenbom machte sich also auf und versuchte, ein möglichst vielschichtiges Bild des Landes und seiner Einwohner zu zeichnen. Der in Tel Aviv geborene Journalist traf Prominente wie Altkanzler Helmut Schmidt, den Künstler Helge Schneider sowie den Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Tenenbom besuchte den Kölner Dom, die Wolfsburger Autostadt, die Passionsfestspiele in Oberammergau und eine Tattoo-Convention in Dortmund. Er sprach mit Linken in der Hamburger Roten Flora, besuchte einen Nazi im berüchtigten Neumünsteraner Club 88 und plauderte mit Jura-Studenten an der Münchner Uni. Selbstverständlich bekam er nicht von allen seiner Gesprächspartner antisemitische Aussagen vor den Latz geknallt und entdeckte in Deutschland auch viel Positives – aber schon in den ersten Tagen seiner Reise wurde er massiv mit antisemitischen Äußerungen konfrontiert. »Am Anfang habe ich versucht, das zu ignorieren«, sagt er. »Ich wollte so etwas nicht in meinem Buch haben. Ich dachte, ich hätte halt die falschen Leute getroffen, es würden schon noch bessere kommen. Aber es wurde mehr und mehr. Überall, wo ich hinkam, wurde über die Juden gesprochen. Ab einem bestimmten Punkt konnte ich mich dem Thema nicht mehr verweigern. Es war ganz einfach da, und als Journalist ist es meine Pflicht, aufzuschreiben, was ich herausfinde.«
Tuvia Tenenbom ist so ungefähr der angenehmste Interviewpartner, den man sich vorstellen kann. Er ist charmant und witzig und erzählt voller Leidenschaft. Gerade so, als wäre man die erste Person, der er von seiner Reise berichtet. Man spürt, dass ihn seine Erlebnisse immer noch aufwühlen. Sein Buch ist eine Perle. Normalerweise müsste das Thema für jeden Leser, der nur halbwegs sauber tickt, schwer zu ertragen sein, denn Tenenbom bekam bei seinem Aufenthalt das ganze Programm geboten: Juden sind reich, Juden kontrollieren die Wirtschaft, Juden beherrschen die Medien, die Israelis sind schlimmer als die Nazis und so weiter und so übel. Trotz des Inhalts ist sein Buch unterhaltsam und enorm komisch. Zynische und ironische Kommentare, pointierte Argumentationen und brillante Beobachtungen verleihen den Kapiteln einen leichten Ton. Es ist geradezu beneidenswert, dass es ihm immer wieder gelingt, die größten Ungeheuerlichkeiten mit sanftem Spott zu parieren. Genau an den richtigen Stellen explodiert er aber auch mal und fasst die vielen Episoden in wortgewaltigen Schlussfolgerungen zusammen. Eine der größten Stärken des Buches sind die ausführlich dokumentierten Dialoge zwischen Tenenbom und seinen zahlreichen Gesprächspartnern. Dabei stellte er oft scheinbar einfache, naive Fragen und überlässt es seinem Gegenüber, abenteuerliche Weltbilder und Haltungen zu offenbaren. Beim Lesen dieser Passagen möchte man trotz der Tenenbomschen Leichtigkeit vor Schmerz, Scham und Wut in den Schreibtisch beißen. Zum Beispiel beim Dialog mit dem Kulturmanager Martin Kranz, der sicherlich jeden Antisemitismusvorwurf zurückweisen würde, da er ja Intendant der Jüdischen Kulturtage in Berlin ist:
»›Warum Sie?‹
›Ich wurde gefragt.‹
›Sie sind kein Jude, nicht wahr?‹
›Bin ich nicht.‹
›Was haben Sie über die Juden gelernt?‹
›Sie sind alle miteinander verbunden. Weltweit. Ganz gleich, wie einer denkt, ganz gleich, welche politischen Ansichten einer hat, sie sind alle miteinander verbunden.‹
›Die Nazis würden sich freuen, wenn sie Sie so reden hörten. Sie denken genauso.‹
›Nein, nein! Nein! Das habe ich nicht gesagt!‹
›Was haben Sie denn gesagt?‹
›Die Juden sind geistig miteinander verbunden. Auf der ganzen Welt.‹
›Wirklich?‹
›Wenn ein Jude irgendwo auf der Welt einem Juden begegnet, dann haben Sie sofort einen Draht zueinander. Ich weiß das. Ich habe es gesehen. Das ist einzigartig an den Juden!‹
Gut, dass Martin besagtes Festival organisiert. Endlich ist da draußen jemand, der den Juden sagen kann, wer sie sind.«
Was den Antisemitismus in Deutschland für Tenenbom besonders und besonders unerträglich macht, ist, dass er häufig im Gewand von politischer Korrektheit, Friedensliebe und Menschenrechten daherkommt. »Friedensfreunde und Make-Love-Not-War-Typen«, wie Tenenbom diese besondere Gattung nennt – die guten Deutschen, die aus ihrer Geschichte gelernt haben und nun aller Welt zeigen, wie sehr sie sich für den Frieden einsetzen. Vor allem für den zwischen Israelis und Palästinensern natürlich. Schuldabwehr-Antisemitismus. Klar, der Holocaust war ein Verbrechen, aber was Israel macht, ist mindestens genauso schlimm – so ihre Haltung. Oder wie Tenenbom über ein Gespräch mit deutschen »israelkritischen« Musikern, die jüdische Lieder spielen, schreibt: »Sie feiern die toten Juden, sind aber in ihrer Kritik an den lebenden Juden unbeirrbar.«
Die Maskerade war für Tenenbom so unerträglich, dass er sich in Duisburg-Marxloh unter offen antisemitischen Deutsch-Türken geradezu wohl fühlte: »Sie sagen ›ihr verdammten Juden‹, ich antworte mit ›ihr verdammten Moslems‹ – und dann gehen wir gemeinsam in ein Restaurant und lachen zusammen«, berichtet er von dieser Etappe seiner Reise. »Wenn alles offen auf dem Tisch liegt, kann ich damit besser umgehen. Ich kann aber nicht mit Menschen umgehen, die sich rechtschaffen geben, mir ständig mit ihrer Sorge um die Palästinenser kommen, die ihnen im Grunde egal sind – und mich im Tiefsten ihres Herzens am liebsten umbringen würden.« Das alles ist harter Stoff, aber dank seines unterhaltsam-populären Stils könnte Tenenbom mit seinem Buch eine Leserschaft ansprechen, die bislang keinen Zugang zu dieser Thematik hatte.
Fast wäre dieses Buch in Deutschland nie erschienen. Denn Rowohlt-Geschäftsführer Alexander Fest war mit dem Manuskript überhaupt nicht zufrieden, sah formale und juristische Probleme. Unter anderem befand Fest, das Manuskript habe keine Struktur und müsse gekürzt werden. Vor allem aber wäre es mit Blick auf das deutsche Persönlichkeitsrecht bedenklich, da nicht alle zitierten Personen ihre Aussagen zur Veröffentlichung freigegeben hätten, einige hätten gar nicht gewusst, dass sie im Rahmen eines Buchprojekts befragt wurden. Tenenbom erwiderte, er habe alle Aussagen als Tondokumente auf seinem iPad beziehungsweise könne Zeugen benennen. Der Konflikt eskalierte. Zu einer Einigung kam es nicht, der Vertrag wurde aufgelöst, das Buch im Eigenverlag zunächst nur in den USA unter dem Titel »I Sleep in Hitler’s Room« veröffentlicht, dann bekundete Suhrkamp Interesse.
Tenenbom hält Fests Argumentation für vorgeschoben und ist immer noch empört über das Vorgehen des Verlegers: »Das war Zensur wie im Iran«, behauptet er. »Ich sollte zum Beispiel die Episode mit dem Nazi im Club 88 streichen, weil das angeblich niemanden interessiert. Das Wort Jude wurde so oft wie möglich durch Israel ersetzt und das war längst nicht alles. Wollte Fest sein Land schützen? Oder sitzt sein eigener Hass auf Juden so tief, dass er meinen Text nicht ertragen konnte? Er wollte einen Juden, der lustig und fett ist. Aber der Jude hat kritisiert und argumentiert und versucht, seinen Standpunkt klar zu machen. Das wollte er nicht.« Ein komplexer Vorgang, der sich von Außen nur schwer beurteilen lässt. Es wäre ohnehin schade, wenn die Diskussion über diesen Streit das Thema des Buches überlagern würde. Tenenbom hofft, dass seine Arbeit nicht wirkungslos bleibt: »Ich lebe nicht in diesem Land. Alles, was ich machen konnte, ist, ein Buch herauszubringen. Was ihr jetzt damit anfangt, ist eure Sache. Ich wünsche mir eine ehrliche Debatte über den Antisemitismus in Deutschland, an der sich möglichst viele Menschen beteiligen. Es ist höchste Zeit.«

Tuvia Tenenbom: Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise. Suhrkamp, Berlin 2012, 431 Seiten, 16,99 Euro